Kaum ein Faktor schränkt die Lebensqualität in unserer Hauptstadt derart ein wie die Obdachlosigkeit. Dabei nahm die Anzahl wohnungsloser Menschen in den vergangenen Jahren dramatisch zu: Allein mehr als 6.000 Menschen leben in Berlin auf der Straße oder in Behelfsunterkünften, hinzu kommen mehr als 47.000 untergebrachte Wohnungslose. Der Berliner Senat rechnet bis 2029 sogar mit über 85.000 Wohnungslosen in unserer Hauptstadt. Für die Betroffenen bedeutet dies nicht nur Stigmatisierung, sondern auch Gewalt, Ausbeutung und Verelendung und stellt für alle Bewohnerinnen und Bewohner Berlins ein großes Ärgernis dar. Dennoch wird diese Problematik vom Berliner Senat weitgehend ignoriert. CDU, SPD, Grüne und Linke verstecken sich hinter dem Wort „Toleranz“– und überlassen die Obdachlosen dem Asphalt. Ein solcher Toleranzbegriff ist jedoch keine Haltung, sondern ein Offenbarungseid.
Die katastrophalen Zustände sind längst nicht nur für den Rest der Gesellschaft eine Zumutung. Öffentliche Räume verwahrlosen, soziale Spannungen werden verschärft und zunehmende Sicherheitsprobleme schaffen Angsträume im öffentlichen Nahverkehr, in Parks oder in Unterführungen. Die permanente Konfrontation mit der Tatenlosigkeit des Berliner Senats untergräbt das Vertrauen in die Lösungskompetenz unseres Parteiensystems. Damit wird Obdachlosigkeit zur Gefahr für unser Zusammenleben. Der Flickenteppich aus öffentlichen wie ehrenamtlichen Hilfsprogrammen und -Angeboten muss endlich durch eine kohärente Strategie ersetzt werden, die einerseits wirksam und andererseits menschenwürdig und verhältnismäßig ist.
Best Practices zeigen, welche Erfolge der Housing-First-Ansatz verzeichnet. Dieser ließ die Obdachlosigkeit in Finnland um rund 70 Prozent sinken. Darüber hinaus konnte die Zahl an Langzeitobdachlosen in Utah und Houston durch eine koordinierte Unterbringung, therapeutische Angebote sowie die Wiedereingliederung in Jobprogramme und Alltagsstrukturen dramatisch sinken lassen. Diesen Weg wollen wir Junge Liberale für Berlin und vom Negativ- zum Positivbeispiel für Deutschland werden. Liberal heißt nicht laissez-faire, sondern Freiheit zur Verantwortung. Wer keine Hilfe will, hat das Recht dazu. Aber der Staat hat das Recht, öffentliche Räume zu schützen. Hilfsangebote anzunehmen, bleibt freiwillig – wer sie aber dauerhaft ablehnt, verwehrt seinen Anspruch auf die unbegrenzte Besetzung öffentlichen Raumes.
Nicht nur die Folgen dieses Vorschlags, sondern auch Obdachlosigkeit als solche ist teuer – für Krankenhäuser, Polizei, Justiz, Reinigung und vieles mehr. Dennoch führen die schon heute massiven Investitionen in die Bekämpfung von Obdachlosigkeit mitnichten zu einer Reduktion wohnungsloser Menschen oder gar einer Steigerung des öffentlichen Sicherheitsgefühls. Die Investition in die hier vorgeschlagene, funktionierende Struktur spart langfristig Steuergeld und erspart tausenden Menschen Leid. Entsprechend sind sämtliche Haushaltsmittel der Obdachlosenhilfe für den nachfolgenden Beschluss aufzuwenden, um Obdachlosenhilfe wieder als das beitreiben, was sie sein sollte: Befähigung zur Selbsthilfe.
Die Jungen Liberalen Berlin mögen daher beschließen:
Schritt 1: Das Land Berlin richtet entsprechend des Bedarfs bis zum 31.12.2029 flächendeckend und dezentral sogenannte Perspektivenhäuser ein, die sämtliche Programme zur Obdachlosenhilfe des Berliner Senats sowie der jeweiligen Bezirke personell und räumlich zusammenfassen. Bestehende Programme, die nicht im Zusammenhang mit den Einrichtungen stehen, werden abgeschafft. Die Errichtung der Perspektivenhäuser steht dabei – entsprechend den Landes- und Bundesgesetzen zur Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung – im überragenden öffentlichen Interesse und wird in enger Abstimmung mit jeweiligen Bezirksverordnetenversammlungen und Anwohnern umgesetzt. In den Perspektivenhäusern stehen – im Rahmen des Housing-First-Ansatzes (Beschluss vom 24.07.2022) – Mikroapartments zur Verfügung, welche den betroffenen Personen nach einer kurzen, unbürokratischen Prüfung eine vorübergehende Unterkunft bieten. Diese ermöglichen Privatsphäre, Sicherheit und einen ersten Schritt zurück in ein selbstbestimmtes Leben.
In jedem dieser Perspektivenhäuser stehen neben einer Verwaltung, einem Empfang für die Erstaufnahme sowie den Mikroapartments folgende Angebote zur Verfügung:
- Eine Außenstelle der Agentur für Arbeit, um eine schnellstmögliche Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt, Qualifizierungsmaßnahmen und/oder den Bezug von Leistungen nach dem SGB II zu gewährleisten. Hierzu werden keine neuen Stellen geschaffen, sondern vollständig aus bestehenden Strukturen überführt.
- Eine Sozialberatung mit besonderem Fokus auf Schuldnerberatung, die Hilfestellung bei existenzsichernden Fragen, Überschuldung, Leistungsbeantragung und die Planung von Perspektiven bietet.
- Ein suchtmedizinisches und psychosoziales Angebot, das gezielt auf den Umgang mit Alkohol- und Drogenabhängigkeit ausgerichtet ist. Hierzu gehören niedrigschwellige Kontaktangebote, Substitutionsprogramme, ambulante Entgiftung sowie auf Wunsch eine Vermittlung in stationäre Therapieeinrichtungen.
- Eine Koordinationsstelle für ehrenamtliche, zivilgesellschaftliche und kirchliche Träger, um lokale Angebote effektiv einzubinden und Synergien zu nutzen.
- Eine enge Abstimmung mit den klassischen und psychiatrischen Kliniken Berlins zur Bekämpfung medizinischer Grundprobleme, die die Obdachlosigkeit verfestigen. Die Finanzierung der Behandlung muss gesichert werden.
Die Perspektivenhäuser werden zum barrierefreien, unbürokratischen und lösungsorientierten One-Stop-Shop der Berliner Obdachlosenhilfe. Mit dem Verbleib in der Unterkunft geht die verpflichtende Wahrnehmung von, im Rahmen eines individuellen Case-Managements erstellen, Angeboten zur Drogen- und Suchtberatung, Bildungs- bzw. Weiterbildungsprogrammen sowie den im Rahmen des Leistungsbezugs nach SGB II (Bürgergeld) obligatorischen Fristen, Mitwirkungspflichten und Nachweiserfordernisse. Ein wiederholter oder schwerwiegender Verstoß gegen diese Pflichten – insbesondere bei verweigerter Mitwirkung oder nachhaltiger Verweigerung elementarer Unterstützungsangebote – führt zum Ausschluss aus dem Perspektivenhaus. Darüber hinaus ist sicherzustellen, dass die Perspektivenhäuser nicht zweckentfremdet werden. Dies erfordert eine kurze, unbürokratische Überprüfung der Bedürftigkeit.
Für die Einrichtung der Perspektivenhäuser sollen auch steuerliche Vergünstigungen für private Träger implementiert werden, um einen Anreiz zur Steigerung des Angebots an passenden Immobilien zu setzen. Ferner ist zu prüfen, ob der perspektivische Rückgang der Anzahl Geflüchteter dazu führt, dass entsprechende Kapazitäten in das Angebot zur Obdachlosenhilfe überführt werden können.
Schritt 2: Ab dem 01.01.2030 wird Obdachlosigkeit – die Inanspruchnahme öffentlichen Raumes zur Übernachtung oder zum dauerhaften Aufenthalt mangels festen Wohnsitzes – vom Land Berlin rechtlich dramatisch eingeschränkt. Insbesondere an Orten, an denen die Präsenz von obdachlosen Personen das Sicherheitsgefühl massiv beeinträchtigt, wird die Inanspruchnahme öffentlichen Raumes rechtlich unterbunden. Mit Beginn des Jahres 2030 ist jeder obdachlosen Person in Berlin ein Platz in einem Perspektivenhaus anzubieten. Wird dieses Angebot ohne triftigen Grund abgelehnt, wird die Inanspruchnahme des öffentlichen Raumes unterbunden. Mit Hilfe einer Fristenregelung wird sichergestellt, dass nur Personen einen Anspruch auf das mit den Perspektivenhäusern geschaffene Hilfsangebot haben, die sich in den vergangenen zwölf Monaten in Berlin und im Umland aufgehalten haben.
Ferner wird das Verbot des Aufenthalts in den U-Bahnen sowie in den Bahnhöfen und Stationen der BVG und der Berliner S-Bahn ohne gültigen Fahrausweis und ohne erkennbare Fahrtabsicht konsequenter vollzogen. Demnach werden Ticketkontrollen nicht nur in den Verkehrsmitteln, sondern auch in den Stationen durchgeführt. Außerdem werden bei der Ausstattung und Ausgestaltung der Stationen verstärkt Elemente der sog. defensiven Architektur verwendet. Darüber hinaus ist zu prüfen, ob der freie Zugang zu sämtlichen Stationen der BVG und der Berliner S-Bahn, wie beispielsweise in London, mit Hilfe elektronischer Fahrscheinkontrollen und Einlassschranken an den Eingängen eingeschränkt werden kann. Dies würde auch die Anzahl sog. Schwarzfahrer dramatisch senken und das Personal entlasten. Ziel ist es, die Verkehrsinfrastruktur wieder ihrem eigentlichen Zweck zuzuführen und den Missbrauch der Bahnen und Stationen als Aufenthalts- oder Schlafort zu unterbinden. Auch das aktive Betteln in Stationen sowie in den Fahrzeugen des Berliner Nahverkehrs wird untersagt, um das subjektive Sicherheitsgefühl zu stärken und die Wiederherstellung eines störungsarmen öffentlichen Raums zu gewährleisten. Dennoch ist vor allem im Winter darauf zu achten, auch über die Perspektivenhäuser hinaus genügend Hilfsangebote für die Wärmeversorgung aller Menschen in Berlin sicherzustellen.
Darüber hinaus werden die deutsche Bundesregierung, die Berliner und alle übrigen Landesregierungen dazu aufgefordert, dieses Modell flächendeckend zu etablieren, um die bundesweite Sogwirkung der Berliner Obdachlosenhilfe zu beenden. Außerdem ist auf europäischer Ebene sicherzustellen, dass vor allem die osteuropäischen EU-Staaten ihrer Verantwortung für die Versorgung ihrer obdachlosen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger nachkommen. Die EU muss dafür Sorge tragen, dass der Zuzug obdachloser Menschen aus anderen EU-Staaten nach Berlin endet und wird aufgefordert, Sanktionsmechanismen für entsprechende Verstöße etablieren.
Die Jungen Liberalen Berlin beschließen, im Rahmen der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus im Jahr 2026 auf einen Parteitagsbeschluss dieses Antrags hinzuwirken. Zu diesem Zweck erarbeiten die Jungen Liberalen Berlin entsprechende Kommunikationsstrategien, um den Beschluss medienwirksam im Wahlkampf zu vertreten.