Die Digitalisierung wird unsere Gesellschaft auch in den nächsten Jahrzehnten nachhaltig prägen und weiterhin verändern. Schon heute stellt sie den Staat vor Herausforderungen im Umgang mit ihren Chancen und Risiken, doch diese Fragen werden relevanter, je weiter die technologische Entwicklung voranschreitet. Um auch in Zukunft die Grundrechte der Bürger zu wahren ohne den Fortschrittsgeist der Digitalisierung zu bremsen bedarf es klarer liberaler Leitlinien zum Umgang mit modernen Technologien wie dem Internet of Things, der künstlichen Intelligenz oder der Blockchain-Technologie. Aus Sicht des Staates gilt es hier auf der einen Seite klare Regeln zu schaffen, die den Verbraucher auch online schützen. Auf der anderen Seite müssen aber auch die Chancen der Digitalisierung genutzt werden, um so ein Mehr an Sicherheit sowie ein Weniger an Bürokratie zu gewährleisten – ohne das der Bürger die Kontrolle über seine Daten verliert.Im Folgenden beantworten wir eine Sammlung von Grundsatzfragen zum Umgang des Staates mit den Herausforderungen der Digitalisierung. Sie soll ein Anstoß sein, sich in der Politik vermehrt mit den Grundsätzen liberaler Digitalpolitik auseinanderzusetzen.
Sicherheit im digitalen Zeitalter
Unter dem Eindruck von zunehmender terroristischer Gefährdung und politischen Reflexen konservativer Parteien führte die sicherheitspolitische Debatte in Deutschland zuletzt zu einer Entwicklung des Rechtsstaats hin zu einem präventiv agierenden Überwachungsstaat. Auf neue Bedrohungen der digitalen Welt soll mit Maßnahmen aus dem 20. Jahrhundert reagiert werden, die vom Sperren von Internetseiten hin zu heimlichen Durchsuchungen von Computern (z.B. Bundestrojaner) reichen. Wir Junge Liberale glauben, dass Sicherheit und Strafverfolgung auch in der digitalen Welt weiterhin gewährleistet werden müssen, jedoch die Unabhängigkeit des Netzes und die Freiheit des Einzelnen stärker zu berücksichtigen sind.
Die Jungen Liberalen Berlin sprechen sich deshalb gegen sogenannte „Backdoor-Verpflichtungen“, also das bewusste Implementieren von Sicherheitslücken für staatliche Stellen, aus. Jede verfügbare Sicherheitslücke für den Staat kann und wird auch von Kriminellen gefunden und ausgenutzt werden. Der mögliche Schaden steht in keinem akzeptablen Verhältnis zum Nutzen für die Allgemeinheit. Aus dem selben Grund fordern wir die Geheimdienste auf gefundene Sicherheitslücken nicht nur für die eigene Nutzung zu horten sondern IT-Anbieter, beispielsweise durch “responsible Disclosure”, auch bei der Schließung dieser Lücken zu unterstützen.
Insbesondere im Bereich des „Internet of Things“, also die Verknüpfung von physischen Objekten mit Informationen im virtuellen Raum, muss die Sicherheit der Geräte erhöht werden. Wenn künftig Millionen oder Milliarden Haushaltsgeräte ans Internet angeschlossen sind, können diese leicht für Straftaten missbraucht werden. Es bedarf neuer Security-by-design Regelungen, die Hersteller dazu anhalten schon bei der Entwicklung ihrer Geräte Sicherheitsstandards festzulegen. Dazu gehören insbesondere im Unternehmer-Verbraucher-Verhältnis regelmäßige Sicherheitsupdates. Bei Beziehungen zwischen Unternehmen sollten die Updates jedoch fakultativ sein. Sollten diese Regelungen nicht erfüllt werden, müssen Hersteller von IoT-Geräten für Schäden, die durch ihre Produkte entstehen, für 8 Jahre haften.
Durch die fortschreitende technische Entwicklung wird die beinahe lückenlose Überwachung von Bürgern möglich. Dies stellt einen erheblichen Eingriff in die individuelle Freiheit des Einzelnen dar und darf auch in Zukunft nicht umgesetzt werden. In diesem Zusammenhang sprechen wir uns gegen die Einführung von Gesichtserkennungssoftware bei staatlicher Videoüberwachung aus. Diese würde zu einer beinahe lückenlosen Erstellung von Bewegungsprofilen führen und es dem Staat ermöglichen die Bürger auf Schritt und Tritt zu verfolgen. Für notwendig halten wir jedoch die Möglichkeit Videoaufnahmen nach der Begehung von schweren Straftaten mit Hilfe von Gesichtserkennungssoftware zu überprüfen. Diese Maßnahme muss allerdings auf schwere Straftaten (etwa Tötungsdelikte oder Straftaten in Verbindung mit terroristischen Anschlägen) begrenzt bleiben und darf nur bei einem konkreten Verdacht erfolgen.
Wir halten den Einsatz von Predictive Policing für einen sinnvollen Weg, um die Arbeit der Polizei in Deutschland zu verbessern. Allerdings muss es bei einer begrenzten und punktuellen Nutzung bleiben: nur, wenn Daten nicht zur individuellen Verfolgung genutzt werden, sondern lediglich der Feststellung von Kriminalitätsschwerpunkten (Risikogebiete und -zeiten) dienen, kann die Anwendung gerechtfertigt sein. Dabei muss jede Form von Racial Profiling vermieden werden.
In der digitalen Welt ist insbesondere der Schutz von Telekommunikation und digitalen Geräten von großer Bedeutung. Wir sprechen uns dafür aus, dass die digitale Sphäre eines Menschen den gleichen Schutz erhält wie die Wohnung. Die Quellentelekommunikationsüberwachung, also die Platzierung einer Abhörschnittstelle direkt an der Quelle, ist als direkte Überwachung am Endgerät ein zu starker Eingriff in die Privatsphäre. Wir lehnen sie daher grundsätzlich ab.
Wir fordern ein Recht auf Verschlüsselung. Verbote von Verschlüsselung sind ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Grundrechte eines jeden Bürgers. Menschen müssen das Recht erhalten ihre Kommunikation geheim zu halten und sich dadurch vor dem Staat und anderen Angreifern zu schützen.
Künstliche Intelligenz
Der Einsatz von künstlicher Intelligenz bietet das Potenzial, unser Leben von Grund auf zu verändern. Vom Auto, über Medizin, hin zu mitdenkenden Assistenzprogrammen sind die Anwendungsmöglichkeiten vielfältig und die Veränderungen mannigfaltig. Künstliche Intelligenz kann unser Leben in vielen Bereichen erheblich erleichtern und einen großen Gewinn darstellen. Dennoch sind noch viele Fragen, wie etwa die Implementierung von künstlicher Moral, unbeantwortet.Jeder Mensch muss das Recht haben, dass staatliche Entscheidungen, die von erheblicher Bedeutung für seine Lebensführung sind, nicht zum Objekt von automatisierten Entscheidungen werden. Führt eine solche Entscheidung zu einem Eingriff, muss ein Anspruch darauf bestehen, dass die Entscheidung von einem Menschen überprüft und erneut getroffen wird. Zudem dürfen alle staatlichen ethisch-normativen Entscheidungen nur von Menschen getroffen werden und nicht in die Hände von künstlicher Intelligenz gegeben werden.
Besondere Bedeutung kommt der Frage zu, ob und welche Personen für Schäden haften, die von künstlicher Intelligenz verursacht werden. Denkbar sind viele Akteure: Programmierer, Modellierer, System- oder Produkthersteller oder Nutzer. Für uns steht fest, dass für die Handlungen selbstlernender Maschinen und die daraus entstehenden Folgen immer eine natürliche oder juristische Person verantwortlich sein muss. Dem Grundsatz nach müssen die Produkthersteller für alle Schäden, die nicht vom Verbraucher verursacht wurden, haften, die beim Einsatz von künstlicher Intelligenz auftreten.
Digitalisierung der Verwaltung
Wir Junge Liberale sehen großes Potential in der Ausschöpfung der Digitalisierung im Bereich der öffentlichen Verwaltung. Digitale Technologien sind in ihrer Entwicklung soweit fortgeschritten, dass auch komplexe Verwaltungsakte nun automatisiert werden können. Der Staat hat die Aufgabe systematisch nach Möglichkeiten des Effizienzgewinnes durch Technologie in seinen Behörden zu suchen und auf Grundlage von Kosten-Nutzen-Abwägungen in deren digitale Transformation zu investieren. Ziel ist es Einsparpotenziale zu erschließen, den Haushalt zu entlasten und den Umgang der Behörden mit den Bürgern zu vereinfachen. Dabei gilt es grundsätzlich, die Nachvollziehbarkeit der automatisierten Prozesse zu wahren und Sicherheit von personenbezogenen Daten zu garantieren.
Die digitale Transformation voranzutreiben ist die zentrale Herausforderung, der sich unser Verwaltungsapparat in den nächsten Jahren stellen muss. Daher fordern wir ein zentrales und behördenübergreifendes Digitalisierungsprogramm der Bundesregierung.
Die digitale Behörde
Noch immer lassen sich die allerwenigsten Behördengänge vom Bürger digital erledigen. Dabei bietet gerade die Interaktion zwischen Bürger und Staat weitreichende Möglichkeiten zur Bereitstellung von Self-Service-Angeboten, die weit über die Terminvereinbarung beim Bürgeramt hinausgehen.Wir fordern bei jeder behördlichen Dienstleistung zu prüfen, inwieweit diese in elektronischer Form über das Internet bereitgestellt werden kann. Ziel ist es, neben Kosteneinsparungen, die Behörden in ihrer Kapazität zu entlasten und dem Bürger, wie auch den Unternehmen, einen freundlicheren und unbürokratischeren Umgang mit dem Staat zu ermöglichen.
Nutzung moderner Technologien
Moderne Technologien, wie die Blockchain-Technologie, ermöglichen es, sensible personenbezogene Daten so zu speichern und zu verwerten, dass diese zuverlässig vor unbefugtem Zugriff geschützt sind und deren Manipulation ausgeschlossen werden kann. Damit ermöglichen sie erstmalig die umfangreiche, verlässliche und vor allem auch sichere Automatisierung vieler behördlicher Prozesse. Wir Junge Liberale sehen in den neuen Technologien großes Potential für den Einsatz in der Verwaltung und fordern deren Erprobung in Pilotprojekten auch in Deutschland.
Die digitale Akte der Lebenstransaktionen
Ziel ist die Einführung einer digitalen Akte der Lebenstransaktionen als gemeinsame Grundlage der behördlichen Arbeit sowohl für Bürger wie auch Unternehmen. In der Akte können alle wichtigen Lebenstransaktionen, z.B. der Bildungsabschluss, die Eheschließung, der Immobilienkauf oder der Wechsel der Meldeadresse hinterlegt werden. Welche Informationen tatsächlich gespeichert werden, entscheidet allein der Bürger. Alle gespeicherten Daten sind behördlich bestätigt und können als zertifizierter Nachweis, auch gegenüber Dritten, genutzt werden. Dabei bestimmt ausschließlich der Bürger selbst, wer Zugriff auf welche Daten erhält. Die mit der Geburt vergebene Steuer-ID soll zu einer digitalen Identitätsnummer ausgeweitet werden, auf deren Basis die Akte angelegt wird.
Datensicherheit ist die Bedingung
Wir Junge Liberale erkennen jedoch auch an, dass, neben den herausragenden Möglichkeiten, die die Digitalisierung der Verwaltung verspricht, ein solcher Einsatz von Technologie Risiken birgt. So erachten wir die Einführung einer digitalen Akte der Lebenstransaktionen nur dann als sinnvoll, wenn technisch gewährleistet ist, dass niemand, explizit einschließlich des Staates, ohne Zustimmung des Bürgers Einsicht nehmen kann. Ebenso muss die Manipulation der Daten ausgeschlossen werden können.
Diese Bedingungen sollen dadurch erfüllt werden, dass die Daten dezentral auf möglichst vielen Servern von Bundes- wie auch Landesbehörden gespeichert werden. Die Akten werden individuell verschlüsselt und sind nur mit dem Schlüssel des Bürgers zugänglich. Sämtliche Änderungen sowie Einsichten in die Akten werden gespeichert und sind nachvollziehbar, wodurch das Missbrauchsrisiko eingedämmt wird. Hierzu soll die Bundesregierung einen Prüfauftrag zur Erforschung der Distributed-Ledger-Technology (DLT) bzw. Blockchain-Technologie erhalten.
Automatisierte Verwaltung
Behördliche Prozesse sollen, wo immer auf Basis von Kosten-Nutzen Abwägungen sinnvoll möglich, konsequent automatisiert werden. In weiten Teilen der Verwaltung, nämlich dort, wo die Verwaltung mit den Daten einzelner Bürger in Berührung kommt, spielt die digitale Akte der Lebenstransaktionen eine zentrale Rolle. Wir wollen, dass Bürger und Unternehmen in Zukunft mit nur wenigen Ausnahmen sämtliche Anträge papier- und unterschriftlos stellen können. Bürger werden die Möglichkeit erhalten online Verwaltungsprozesse auszulösen, welche automatisch und mit geringem zeitlichen Umfang bearbeitet werden. So können zum Beispiel über die Akte der Lebenstransaktionen ein Kindergeldantrag oder auch die Formalitäten im Sterbefall schnell automatisiert abgewickelt werden.