Mehr Macht den Bezirken! Reformen der Kommunalstruktur Berlins

Plädoyer für eine starke Kommunalpolitik in der Stadt der Vielfalt

Die Herausforderungen, die zur Organisation einer Millionenstadt wie Berlin bewältigt werden müssen, unterscheiden sich zwar in mancherlei Hinsicht von denen kleinerer Kommunen. Auf der einen Seite muss eine große Zahl von Menschen mit unterschiedlichsten Interessen und Bedürfnissen organisatorisch zusammengefasst werden und mit leistungsfähigen Verkehrssystemen, Entsorgungssystemen, einer sinnvollen überörtlichen Planung und mehr versorgt werden. Zugleich zeichnet sich Berlin aber durch eine enorme kulturelle, demographische und wirtschaftliche Diversität aus, die allenthalben örtlich spezifische Besonderheiten und Bedürfnisse generiert: die alltäglichen politischen und organisatorischen Fragen im jungen, dicht besiedelten, aber finanzschwachen Wedding erfordern etwa andere Lösungen als im überalternden Reinickendorf. Diesem heterogenen, teils widerstreitenden Interessengemenge können weder kleinteilig-dezentrale, noch zentralistische Strukturen gänzlich gerecht werden. Vielmehr müssen unter konsequenter Beachtung des Subsidiaritätsgrundsatzes Kompetenzen dort veranlagt werden, wo bei größtmöglicher Bürger- und Sachnähe noch zweckmäßige Lösungen errungen werden können.

Berlin ist zugleich Stadtstaat und Einheitsgemeinde, Bundesland und Kommune. Im Abgeordnetenhaus vereinigen sich Landesparlament und Gemeindevertretung, in der Senatsverwaltung staatliche und nichtstaatliche öffentliche Aufgaben. Zwar gewährleisten die Bezirksverwaltungen eine Ebene dezentraler Verwaltung und nehmen regelmäßige kommunale Aufgaben in gewisser Eigenverantwortung wahr. Zugleich mangelt es ihnen aber auch an rechtlicher Selbständigkeit, einer effektiven Organisationshoheit und eigenständigen Finanzquellen. Die Kompetenzverteilung zwischen Land und Bezirken ist zu wenig auf Abgrenzung und Eigenständigkeit, sondern vielmehr auf Verflechtung und Doppelbefassung ausgerichtet. Eine Stärkung der Kommunalpolitik erweitert nicht nur die politischen Gestaltungsspielräume für sachnahe lokale Lösungen und setzt Anreize für einen bezirksübergreifenden Leistungswettbewerb um optimale politische Konzepte, sondern macht Politik für viele Bürger erst alltäglich erfahrbar. Eine Ausweitung der bezirklichen Kompetenzen ist Ausdruck des Vertrauens in die Entscheidungsträger vor Ort, kann und sollte aber zeitgleich durch einen Zugewinn an Transparenz und direktdemokratischer Partizipation begleitet werden.

Rechtspersönlichkeit für die Bezirke

Die Jungen Liberalen Berlin fordern, die Berliner Bezirke mit Rechtspersönlichkeit auszustatten. Damit einhergehend soll gegen die Verletzung subjektiver Rechte und die Überschreitung von Kompetenzzuweisungen sowohl zwischen einzelnen Bezirken als auch durch das Land Berlin rechtssicher vor den Verwaltungsgerichten oder Verfassungsgerichtshof geklagt werden können. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts können Bezirke selbst Verbindlichkeiten aufnehmen, Eigentum erwerben oder steuererhebend tätig werden.

Verwaltungskompetenzen auf bezirklicher Ebene stärken

Während in Flächenbundesländern zwischen gemeindlicher und staatlicher Tätigkeit unterschieden wird, findet eine solche Trennung in Berlin nicht statt. Mangels Selbstverwaltungsgarantie fehlen den Bezirken originäre Selbstverwaltungsbereiche – insbesondere kann die Hauptverwaltung in allen Aufgabenbereichen bindende Verwaltungsvorschriften gem. § 6 AZG erlassen. Allein dies birgt bereits die Gefahr von Kompetenzkonflikten und ineffizienten Doppelbefassungen zwischen Bezirks- und Landesebene.

Die mangelnde Unterscheidung zwischen gemeindlicher und staatlicher Tätigkeit führt zugleich dazu, dass die Tätigkeit der Bezirke vollständig dem Eingriffsrecht der Bezirksaufsicht gem. § 13a AZG unterliegt. Zwar setzt deren Ausübung eine Beeinträchtigung dringender Gesamtinteressen Berlins voraus – die großzügige Auslegung dieses Kriteriums in der Vergangenheit trug indes zum Selbständigkeitsdefizit der Bezirke bei. Die Möglichkeit einer Überprüfung der Eingriffsvoraussetzungen auf dem Klageweg ist zudem bislang rechtlich umstritten und gerichtlich ungeklärt.

Um die Kompetenzverschränkungen zu entflechten fordern die Jungen Liberalen Berlin, den Bezirken eine Selbstverwaltungsgarantie im Rahmen gemeindlicher Aufgaben zu gewähren. Die Aufsicht des Bezirksamts beschränkt sich hier auf eine Rechtsaufsicht, Eingriffsrechte gem. § 13a AZG bestehen nicht. Die Jungen Liberalen Berlin fordern das Abgeordnetenhaus auf, in Kooperation mit den Bezirken eine umfassende Reform des AZG vorzunehmen, in der kompetenzielle Verflechtungen die Ausnahme bilden und rechtsvergleichend übliche Kommunalkompetenzen im Regelfall den Bezirken als Selbstverwaltungsaufgaben zugewiesen werden.

Um der Selbstverwaltungsgarantie, der Kompetenz zur Erledigung örtlicher Angelegenheiten (Art. 66 Abs. 2 S. 2 VvB) sowie der Auffangzuständigkeit im Falle der Nichtregelung (Art. 67 VvB) gerecht zu werden, müssen die Bezirke mit ausreichenden rechtlichen Instrumentarien ausgestattet werden. Um neue Aufgabenbereiche sinnvoll regeln zu können, ist daher eine Satzungsautonomie auf den neu geschaffenen Selbstverwaltungsgebieten erforderlich.

Stärkung der Finanzautonomie

Politische Beschlüsse sind regelmäßig finanzrelevant, autonome Gestaltungsräume setzen daher kalkulierbare, eigene Einnahmequellen voraus. Mangels eigener Finanzhoheit, fehlender Satzungshoheit über kommunale Steuern und Verwaltungskompetenz sind die Bezirke in hohem Maße von den Globalzuweisungen des Landes abhängig – gerade in Zeiten knapper Ressourcen führt dies selbst zur chronischen Unterversorgung solide haushaltender Bezirke. Zugleich kann die Aussicht auf steuerliche Mehreinnahmen durch wirtschaftliche Prosperität und erfolgreiche kommunalpolitische Entscheidungen wichtige Anreize für die Suche nach effektiven und kreativen politischen Lösungen setzen.

Die Jungen Liberalen Berlin fordern, die vollständige Abhängigkeit der Bezirkshaushalte von den Globalsummenzuweisungen des Landes (Art. 85 Abs. 2 VvB) abzumildern und ihnen eine eigenständige Ertragshoheit über folgende Steuern zuzuweisen:

  • Der gemeindliche Anteil an der Lohn- und veranlagten Einkommensteuer. Dieser soll sich künftig aus einem Hebesatz oder eigenen Hebetarif der Bezirke ergeben, der auf der bundesgesetzlich geregelten Bemessungsgrundlage aufbaut.
  • Der gemeindliche Anteil an der Umsatzsteuer, der künftig vollständig nach Einwohnerzahl auf die Länder und Kommunen verteilt werden soll.
  • Grundsteuer
  • 50% des Aufkommens der Gewerbesteuer. Die verbleibenden 50 % fließen dem Landeshaushalt zu und können zur gezielten Förderung wirtschaftsschwächerer Bezirke eingesetzt werden. Hierdurch kann eine Zementierung von Wirtschaftskraft und steuerlicher Ertragslage vermieden werden.

Im Haushaltsjahr 2013 hätten hierdurch bereits ca. 50 % der bezirklichen Ausgaben durch eigene Einnahmen finanziert werden können.

Bis zur Einführung der bezirklichen Ertragshoheit fordern die Jungen Liberalen Berlin eine justiziable quotale Beteiligung der Bezirke an den Landeseinnahmen, die in der Landeshaushaltsordnung zu verankern ist. Hierdurch kann bereits frühzeitig Planungssicherheit gegenüber jährlich variierender Summenzuweisungen geschaffen werden.

Auch die Aufstellung der bezirklichen Haushaltspläne obliegt dem Abgeordnetenhaus im Rahmen des Haushaltsgesetzes (Art. 85 Abs. 1 S. 1 VvB), die Bezirke werden lediglich prozedural beteiligt. Die Verhandlungsposition bleibt indes denkbar schlecht: Selbst eine Verweigerung der Mitwirkung durch die Bezirke könnte im Wege der Bezirksaufsicht aufgelöst werden. Die Jungen Liberalen Berlin fordern daher, auch die Letztentscheidungskompetenz zur Aufstellung des Bezirkshaushalts vom Abgeordnetenhaus an die Bezirksverordnetenversammlung zu übertragen und diesen von der Feststellungswirkung des § 13 I LHO auszunehmen.

Transparenz und Bürgerbeteiligung als Schlüsselelemente bürgernaher Kommunalpolitik

Die Jungen Liberalen Berlin fordern eine Abschaffung der 3 %-Sperrklausel bei Wahlen zur Bezirksverordnetenversammlung. Da Sperrklauseln die Ergebnisgleichheit der Wahl beeinträchtigen, sind sie grundsätzlich rechtfertigungsbedürftig. Im Bundestag und den Länderparlamenten ist die Regierungsbildung auf stabile Koalitionen und der parlamentarische Arbeitsalltag auf hinreichend große, arbeitsteilige Fraktionen ausgelegt. Während eine Zersplitterung durch Kleinparteien die Arbeitsfähigkeit dieser Parlamente gefährden kann, besteht diese Gefahr auf kommunaler Ebene in weit geringerem Umfang: die Besetzung des Bezirksamts vollführt sich nicht über Koalitionen, sondern über Nominierungsrechte der einzelnen Fraktionen unter Ermittlung ihres Kräfteverhältnisses im d’Hondtschen Höchstzahlverfahren. Mangels klarer Unterteilung in Mehrheit und Opposition sind daher auch ad-hoc-Mehrheiten je nach Beschlussgegenstand denkbar und in zahlreichen Kommunen politische Realität.

Die Bezirksbürgermeister werden künftig direkt gewählt. Das Arbeitsverhältnis zwischen diesen und der jeweiligen Bezirksverordnetenversammlung wird nach dem Vorbild der Süddeutschen Ratsverfassung gestaltet.

Die Jungen Liberalen Berlin sprechen sich ferner für die Stärkung direktdemokratischer Elemente auf Bezirksebene aus. Zulässiger Beschlussgegenstand sollen alle Angelegenheiten sein, in denen die Bezirksverornetenversammlung Beschlüsse fassen kann, einschließlich der Aufstellung eines Bürgerhaushalts. Die erforderlichen Abstimmungsquoren sollen sich fortan an der letzten Wahlbeteiligung zur Bezirksverordnetenversammlung orientieren, um direktdemokratischen Entscheidungen keine erhöhten Legitimationsanforderungen gegenüber Beschlüssen der Bezirksverordnetenversammlung aufzubürden:

  • Ein bezirkliches Bürgerbegehren soll durch die freie Sammlung von Unterschriften zur BVV wahlberechtigter Personen innerhalb von vier Monaten eingeleitet werden können, deren Anzahl 5 % der gültigen Stimmen zur letzten BVV-Wahl übersteigt.
  • Ein bezirklicher Bürgerentscheid ist angenommen, wenn er bei Mehrheit der abgegebenen Stimmen ein Zustimmungsquorum i.H.v. 20 % der gültigen Stimmen zur letzten BVV-Wahl übersteigt.

Vorbildliches politisches Engagement wird indessen unnötig erschwert, wo dem Bürger Informationen vorenthalten werden, die zu einer sachlich fundierten Meinungsbildung erforderlich sind. Erweiterte direktdemokratische Instrumente erfordern daher zugleich eine erhöhte Transparenz der öffentlichen Verwaltung. Bereits seit 1999 gilt das Informationsfreiheitsgesetz in Berlin, das jedem Bürger einen grundsätzlichen Anspruch auf Einsichtnahme in Verwaltungsakten einräumt. Dieser Anspruch ist jedoch durch weitreichende Bereichsausnahmen eingeschränkt, das Verfahren teils unnötig mühsam. Ein Anspruch auf Akteneinsicht ist zudem erst dann praktikabel, wenn die gesuchte Information schon weitestgehend präzise feststeht – was für Verwaltungsexterne regelmäßig kaum zu gewährleisten ist. Die Jungen Liberalen Berlin fordern daher das Abgeordnetenhaus auf, schnellstmöglich eine Gesetzesnovelle nach dem Vorbild des Hamburger Transparenzgesetzes (TGH) zu verabschieden. Kernbestand der Regelung ist ein künftiger Verzicht auf das Antragserfordernis bei gleichzeitiger Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, Akten selbständig in ein öffentliches Online-Informationsregister einzustellen. Transparenz wird damit von einem bloßen Recht des Bürgers zu einer Bringschuld des Staates aufgewertet. Bei der Ausgestaltung soll hierbei auf berechtigte Interessen Einzelner weitgehende Rücksicht genommen werden, ohne jedoch den Informationsanspruch faktisch zu entwerten. Insbesondere kann die Veröffentlichungspflicht mit Persönlichkeits- und Urheberrechten (etwa an Gutachten) kollidieren. Personenbezogene Daten sind daher u.U. zu schwärzen, Urheberrechte soweit wie möglich abzulösen.

Um die Teilhabe an kommunalpolitischen Entscheidungsprozessen zu erleichtern, fordern die Jungen Liberalen Berlin außerdem die Online-Übertragung und –Archivierung sämtlicher öffentlicher Sitzungen der Bezirksverordnetenversammlungen. Die Archivierung soll für eine Dauer von mindestens fünf Jahren erfolgen. Außerdem empfehlen die Jungen Liberalen Berlin den Ausschüssen der Bezirksverordnetenversammlungen, auch ihre Sitzungen zu übertragen.