Liebe kennt keine Grenzen: Europa als Raum der Vielfalt und Toleranz

Europa wächst zusammen. Durch die stetige europäische Integration, die Schaffung der Unionsbürgerschaft und die daraus erwachsende Freizügigkeit wurden Meilensteine der freien Mobilität geschaffen. Europäische Lebenswege werden dadurch zunehmend zur Selbstverständlichkeit. Immer mehr Europäer verbringen einen Teil ihrer Ausbildungs- oder Erwerbsbiographie im europäischen Ausland – und knüpfen dort Bekanntschaften, die oft ein Leben anhalten.

In der EU werden jedes Jahr gut zwei Millionen Ehen geschlossen, von denen etwa 350.000 einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen. Die Zahl der jährlichen Scheidungen liegt zugleich bei etwa 875.000, grenzüberschreitend sind davon etwa 170.000. Dennoch ist das europäische Familienrecht lückenhaft geblieben: Die Brüssel IIa-, europäische Unterhalts-, Ehe- und Rom-III-Verordnungen erfassen nach wie vor nur einen Teilbereich der Materie und errichten teilweise nur ein Regelungsregime zu Gerichtsstand und grenzüberschreitender Entscheidungsvollstreckung. Eine Vereinheitlichung des materiellen Familienrechts, etwa bezüglich der Voraussetzung der Eheschließung, der Ehewirkungen, des ehelichen Güterstandes, oder des Adoptionsrechts, erfolgte bislang ebenso wenig wie eine abschließende Regelung des Kollisionsrechts. Hieraus können in erheblichem Maße Hindernisse für die grenzüberschreitende Mobilität erwachsen: In Fragen außerhalb des Scheidungs-und Trennungsrechts und des Kindesunterhalts (dem Anwendungsbereich der Rom-III-VO und dem Haager Unterhaltsübereinkommen) variiert je nach Gerichtsstand das anwendbare Recht in Abhängigkeit des jeweiligen mitgliedstaatlichen internationalen Privatrechts. Auch die Anerkennung einer im EU-Ausland geschlossenen Ehe oder im EU-Ausland bewirkten Adoption ist nicht ausnahmslos rechtssicher gewährleistet – vor allem die Anerkennung einer gleichgeschlechtlichen Ehe in einem Mitgliedstaat, der einen solchen Eheschluss nicht zulässt, ist sekundärrechtlich ungeregelt und höchstrichterlich bislang ungeklärt. Einem Drittstaatsangehörigen, der mit einem gleichgeschlechtlichen Unionsbürger legal eine Ehe in einem EU-Mitgliedstaat eingeht, kann aus diesem Grund bspw. in einem anderen Mitgliedstaat der Status als Familienangehöriger im aufenthaltsrechtlichen Sinne versagt und dadurch eine Daueraufenthaltsgenehmigung verweigert werden. Auch weitergehend stellen sich Unsicherheiten, etwa hinsichtlich der steuerlichen Behandlung einer solchen Ehe.

Zwar ist Familienrecht in besonderem Maße mit der kulturellen Identität eines jeden Mitgliedsstaates verwoben. Eine Angleichung des materiellen Familienrechts in ganz Europa „von oben herab“ mag deshalb Konfliktpotential beherbergen. So würde etwa eine europarechtliche Verpflichtung, im gesamten Unionsgebiet die Eingehung gleichgeschlechtlicher Ehen zu ermöglichen, in einigen Mitgliedstaaten auf beträchtlichen Widerstand stoßen – man denke nur an das kürzlich per Verfassungsreferendum in Kroatien beschlossene Verbot der gleichgeschlechtlichen Ehe. Dennoch muss es in Ansehung der Grundfreiheiten und –werte der Union ermöglicht werden, dass Familien ihre Freizügigkeit ausüben können, ohne dabei um ihren Ehe- oder Adoptionsstatus befürchten zu müssen.

Die Jungen Liberalen Berlin fordern daher als weniger einschneidendes Mittel gegenüber einer Vollharmonisierung die verpflichtende gegenseitige Anerkennung von Ehen und Adoptionen, die in einem anderen EU-Mitgliedstaat eingegangen wurden. Hierzu ist eine Vereinheitlichung des Kollisionsrechts erforderlich:

  • Die Ehevoraussetzungen, Ehewirkungen, einschließlich des ehelichen Güterstandes, Adoptionsvoraussetzungen und Adoptionswirkungen beurteilen sich im gesamten EU-Gebiet nach dem Recht des EU-Staates, in dem die Ehe geschlossen oder die Adoption durchgeführt wurde.
  • Um rechtsmissbräuchlichem „Heiratstourismus“ zu entgegnen, ist die Unterstellung unter ein anderes Familienrecht als desjenigen Staates, dem die beteiligten Personen angehören, erst nach einem regelmäßigen Aufenthalt von mindestens einem Jahr Dauer im entsprechenden Staat zulässig. Vor diesem Zeitpunkt kann die Eheschließung oder die Adoption nur nach dem Recht des Staates durchgeführt werden, dem der Unionsbürger angehört. Gehören die Ehegatten untereinander, die Adoptiveltern untereinander oder die Adoptiveltern gegenüber dem Adoptivkind unterschiedlichen Mitgliedstaaten an, kann nach dem Willen der Beteiligten in die Rechtsordnung eines der Beteiligten optiert werden.
  • Im Rahmen öffentlich-rechtlicher, steuerrechtlicher, strafrechtlicher oder verfahrensrechtlicher Vorschriften, die tatbestandlich an eine Ehe oder ein Eltern-Kind-Verhältnis anknüpfen, sind unter diesen Voraussetzungen EU-ausländische Ehen und Adoptionen bedingungslos anzuerkennen.