Liberale Kulturpolitik für ein attraktives Berlin

Unser Verständnis von Kunst und Kultur

Die Kultur ist ein integraler Bestandteil jeder Gesellschaft. Ein prägendes und charakterisierendes Element ganzer Zivilisationen, das zum politischen Kampfbegriff umgedeutet wurde. Heute stellt sich mehr denn je die Frage, wie die Kultur für die Gesellschaft erhalten und weiterentwickelt werden kann und welche Rolle der Staat dabei spielt.

Deutschland, als Land der Dichter und Denker, hat eine reiche Kulturgeschichte und jeder Bürger soll Kultur erleben und an ihr partizipieren können. Sie ist, als sich ständig ändernder und unsere Umwelt immer wieder neu interpretierender Einfluss auf den Alltag jedes Bürgers, identitätsstiftend. Ohne den Theaterbesuch, das Buch am Wochenende, die Kunstaustellung oder die Street-Art an der wir jeden Morgen vorbeilaufen verlieren wir an Lebensqualität. Für uns Junge Liberale stellt sich daher nicht die Frage ob wir die Kultur fördern, sonder wie. Es stellt sich die Frage, wie die Gesellschaft ihre Kultur formen und erleben will und was sie bereit ist, dafür zu tun. Kunst- und Kulturfreiheit prägen als Grundrecht das Verhältnis des Staates zur Kultur. Dies umfasst nicht nur die Freiheit des Einzelnen von Zensur, sondern auch positiv den Auftrag des Staates, Kunst und Kultur im Rahmen seiner Möglichkeiten zu fördern.

Deutschland hat in seiner Vergangenheit erlebt, wie totalitäre Regimes Kunst und Kultur zensieren und instrumentalisieren. Auch aus dieser historischen Erfahrung erwachsen eine besondere staatliche Neutralitätspflicht und die Wertschätzung künstlerischer Freiheit, die die von uns grundsätzlich gewollte Zuweisung fester Mittel für bestimmte Institutionen jedoch erschwert. Um eine kontraproduktive und unbezahlbare Gießkannenförderung zu vermeiden, bleibt die Festlegung bestimmter Förderungsbeträge durch politische Entscheidung jedoch unvermeidbar. Um diese Entscheidungsfindung dennoch transparent zu gestalten und demokratisch zu legitimieren, fordern wir JuLis Berlin, dass die Kulturförderung zukünftig einer formellen gesetzlichen Grundlage bedarf, die Ausmaß und Zweckbestimmung der Fördergelder festlegt – im Ergebnis heißt das, dass zukünftig das Parlament im Rahmen seines politischen Diskurses Förderkriterien festlegt, damit nicht die Senatsverwaltungen entscheiden, wo wie viele Mittel hinfließen.

Nichtsdestotrotz wird das Land Berlin im Rahmen seiner unabwendbaren Sparnotwendigkeiten schmerzhafte Einschnitte auch im Kulturhaushalt vornehmen müssen.

I. Kulturförderung

Aufgrund unseres einleitend genannten Kulturverständnisses erkennen wir an, dass es auch weiterhin Aufgabe des Staates ist, das Engagement von Kulturschaffenden in jedweder Hinsicht auch finanziell zu fördern. Allerdings kann und muss man hierbei auch neue Prioritäten setzen, insbesondere wenn die öffentlichen Mittel nur in einem begrenzten Umfang zur Verfügung stehen.

1. Bestandsaufnahme der Kulturförderung in Berlin

Gemessen an den Gesamtausgaben des Landes Berlin im Jahr 2011 in Höhe von knapp 22 Milliarden Euro (gegenüber Einnahmen in Höhe von 20,8 Milliarden Euro, hiervon wiederum 4 Milliarden Euro aus dem Länderfinanzausgleich) und einem Schuldenstand von 63 Milliarden Euro, misst sich der Kulturetat mit „nur“ etwa 410 Millionen € im Jahr 2012 und geplanten € 418 Millionen € im Haushaltsansatz für 2013 vergleichsweise gering aus. Allerdings fällt die Förderung der einzelnen Kulturbereiche so dann wieder massiv unterschiedlich aus: während für den Bereich Musik (Chöre, Orchester und freie Musikszene) ca. 35 Millionen € jährlich und für den Bereich Literatur und Bibliotheken etwa 24 Millionen € jährlich ausgegebenen werden, entfallen für die bildende Kunst nur noch ca. 5 Millionen €. Demgegenüber satte € 221 Millionen für „Bühne und Tanz“, wobei über die Hälfte dieses Betrages – € 121,5 Millionen € – der Stiftung Deutscher Oper zufallen, die hiervon die drei großen Opernhäuser Staatsoper (€ 42 Mio.), Deutscher Oper (€ 39 Mio.) und Komische Oper (€ 30,8 Mio.) sowie das Staatsballet (€ 7,4 Mio.) bezuschusst. An Einnahmen erzielen diese Einrichtungen jedoch nur etwa € 20 Mio. jährlich, sind also nicht ansatzweise selbst wirtschaftlich tragfähig.

2. Jungliberale Forderungen zur Kulturförderung

Da zwangsläufig auch der Kulturetat seinen (naturgemäß geringen) Beitrag zur zwingend notwendigen Berliner Haushaltskonsolidierung wird leisten müssen, schlagen wir Jungen Liberalen Berlin vor, den Kulturetat bis auf weiteres auf € 400 Mio. jährlich einzufrieren. Die ohnehin nur relativ gering geförderten Bereiche Musik, bildende Kunst und Literatur/Bibliotheken sollen insoweit von weiteren Sparmaßnahmen verschont bleiben, allerding sprechen wir uns in diesem Zusammenhang gegen den diskutierten Bau einer kostspieligen zentralen Landesbibliothek auf dem Tempelhofer Feld aus.

Gerade auch im Hinblick auf den überproportionalen Förderungsanteil werden die erforderlichen Einsparungen bei den Zuschüssen zur Stiftung Deutscher Oper vorgenommen werden müssen. In diesem Zusammenhang erkennen wir, dass – in Anbetracht des Umstandes, dass Staatsoper und Komische Oper unterschiedliche Angebote ausweisen – diese Einsparungen primär bei der Deutschen Oper werden erfolgen müssen. Wir Jungen Liberalen Berlin fordern daher, umgehend eine Kooperation mit privaten Investoren im Rahmen einer gemischt privat-öffentlichen Stiftung den Erhalt der Deutschen Oper unter Reduzierung der öffentlichen Förderungsgelder um etwa 50% zu prüfen. Sollte eine solche gemischt-finanzierte Stiftung nicht zu Stande kommen, darf auch die vollständige Aufgabe und Abwicklung der Deutschen Oper nicht ausgeschlossen werden. Die insofern mittelfristig freiwerdenden Gelder stünden so dann für weitere notwendige Maßnahmen insbesondere im Bereich der kulturellen Bildung zur Verfügung.

II. Kulturelle Bildung

Sensibilität und Verständnis im Umgang mit Kunst und Kultur sind der Schlüssel zur Teilhabe am künstlerisch-kulturellen Geschehen der Gesellschaft und damit ein integratives Moment für Menschen jeden Alters und jeder Herkunft. Ein selbstverantwortlicher und kritischer Umgang mit künstlerischen Erscheinungsformen gesellschaftspolitischer Diskurse trägt zum Heranwachsen mündiger Bürger bei und ist zwingende Voraussetzung für eigenes bürgerschaftliches Engagement im Kulturbereich.

Kulturelle Bildung ist auch ein wesentlicher Bestandteil der Persönlichkeitsentwicklung. Durch kulturelle Bildung werden Neugier und die Bereitschaft, sich auf andere einzulassen, gefördert, die Phantasie angeregt, Potenziale geweckt und die Fähigkeit zur Auseinandersetzung mit der Umwelt gestärkt. Künstlerische Methoden bereichern die Fähigkeit zu interdisziplinärem und unkonventionellem, innovativem Denken.

Bildungsarbeit im kulturellen Bereich ist beileibe kein bloßes optionales Mehr neben der Vermittlung „harter Fähigkeiten“: Gerade in Zeiten der zunehmenden Allgegenwärtigkeit von Kultur und Medien ist eine Vermittlung fundierter künstlerisch-musischer Fähigkeiten obligatorisch. Aufgrund der entwicklungsbedingt großen Offenheit jüngerer Kinder gegenüber kulturellen Phänomenen hat diese Bildungsarbeit bereits im frühkindlichen Alter anzusetzen und die gesamte Schulzeit mitzuprägen. Darüber hinaus sind auch Bildungsangebote zu schaffen, die Erwachsenen ein lebenslanges Lernen ermöglichen.

1. Kulturelle Bildung für Kinder und Jugendliche

Zentrale Einrichtung für Bildungsangebote sollte auch im kulturellen Bereich die Schule sein, da sie Kinder und Jugendliche aller Bildungsschichten ausnahmslos erreicht. Die Vermittlung kultureller Kompetenzen ist in §3 III Nr. 3 SchulG bereits als Schulziel festgelegt. Nach den liberalen Grundsätzen der eigenverantwortlichen Schulen steht es den Schulen grundsätzlich offen, auf welche Art sie konkret diesen Anforderungen gerecht werden. Politik und Verwaltung können und sollen jedoch Rahmenbedingungen schaffen, um die Schulen bei größtmöglicher Wahrung ihrer Autonomie sinnvoll zu unterstützen.

Kulturelle Projekte der Schulen und Kooperationen mit Kulturinstitutionen sind häufig fragmentarisch und ohne schulübergreifende Koordination. Die vom Berliner Senat ins Leben gerufene Datenbank Kulturelle Bildung (www.datenbankkulturellebildung.de) leistet einen Beitrag zur Vernetzung dieser Projekte und vereinfacht den Schulen das Finden von Kooperationspartnern. Dieses Angebot begrüßen wir JuLis Berlin ausdrücklich – es sollte daher konsequent fortgeführt werden und könnte etwa durch Best-Practice-Empfehlungen erweitert werden.

Im Schulalltag sollten kulturelle Projekte nicht mehr nur einen Ausnahmecharakter darstellen, sondern einen integralen Bestandteil der Lehrpläne einnehmen. Kontinuität und Nachhaltigkeit schaffen fruchtbare Lernumgebungen, nicht ständige Pilot- und Modellprojekte! Um die Schulen mit den dazu erforderlichen Mitteln auszustatten, fördert das Land Berlin derzeit einzelne Projekte über die privatrechtlich organisierte Kulturprojekte Berlin GmbH mit einem Gesamtvolumen von 2 Millionen € pro Jahr. Diese Förderung auf Grundlage einzelner Projekte schafft innovationshemmende bürokratische Hürden. Sie erzwingt eine Priorisierung nach Förderungswürdigkeit und unterstellt die künstlerische Arbeit an den Schulen mittelbar der inhaltlichen Bewertung durch die Politik. Trotz aller Notwendigkeit, eine Förderung an sachliche Kriterien zu binden, entzieht sich Kunst in aller Regel einem objektiven Bewertungsmaßstab. Gerade die künstlerische Freiheit und staatliche Neutralitätspflicht verbieten auch eine Bevorzugung einzelner künstlerischer Vorhaben. Es sollte daher erwogen werden, eine pauschale Förderung über die Einräumung eines zweckgebundenen Budgets für jede Schule zu gewährleisten.

Auf kulturelle Bildung besteht indes kein Staatsmonopol. Private Kultureinrichtungen werden aufgefordert, eigene Konzepte in diesem Bereich zu entwickeln und ihre Angebote auszubauen. Private non-profit-Projekte sind staatlich im selben Umfang finanziell zu unterstützen wie vergleichbare Angebote der Schulen.

Während sich im Unterrichtskontext eine Beteiligung der Eltern an den Kosten verbietet, muss für den außerschulischen Bereich eine Form gefunden werden, die keinesfalls sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche an der Teilnahme hindert. Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 18 Jahren sollten jeweils einen Bildungsgutschein erhalten, dank dem sie auf Kosten der Stadt Berlin ein Musikinstrument an einer Musikschule lernen, an Unterricht zu darstellendem Spiel, bildender Kunst oder anderer kultureller Bildungsangebote teilnehmen können. Öffentliche geförderte Bibliotheken, Museen und Kunstgalerien sollten für Minderjährige grundsätzlich kostenfrei benutzbar sein. Öffentlich geförderte Theater, Konzerte und Opern sollen ein gewisses Platzkartenkontingent für Jugendliche zu deutlich reduzierten Preisen anbieten.

2. Kulturelle Erwachsenenbildung

In der jüngsten Evaluation der Bildungsangebote durch Birnkraut|Partner wurden insbesondere Defizite bei den Angeboten für Erwachsene festgestellt. Während schulpflichtige Kinder und Jugendliche über schulische Projekte unproblematisch zu erreichen sind, ist dies bei Erwachsenen naturgemäß schwieriger; umso nachdrücklicher sollten daher Angebote geschaffen und beworben werden. Gerade spezifische Projekte für Erwachsene mit Migrationshintergrund existieren kaum. Hierdurch wird zweifelsohne Potential verschenkt: kulturelle Bildung schafft gegenseitige Toleranz und interkulturelle Sensibilität. Künstlerisch-musische Projekte weisen häufig keine nennenswerte Sprachbarriere auf und sind damit geeignet, auch Migranten mit schlechten Deutschkenntnissen in das gesellschaftliche Leben zu integrieren und Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammenzubringen. Gerade in sozialen Brennpunkten sollten daher staatlich durchgeführte oder geförderte Bildungsangebote spürbar ausgebaut werden. Dies kann vorzugsweise über Kooperationen der Berliner Volkshochschulen mit Kulturinstitutionen realisiert werden. Teilnahme- bzw. Kursgebühren für derartige Angebote sollten möglichst gering gehalten werden und Freistellungsmöglichkeiten bei finanzieller Bedürftigkeit vorsehen.

3. Musikschulen

Eine besondere Bedeutung für die musische Ausbildung kommt auch den 12 öffentlichen Musikschulen der Bezirke zu. Aufgrund der Tätigkeit der meisten Lehrkräfte in freiberuflichen Beschäftigungsverhältnissen arbeiten die Berliner Musikschulen im überregionalen Vergleich ausgesprochen kostengünstig und stellen dennoch eine weit überdurchschnittliche Versorgung sicher. Dennoch befinden sich derzeit etwa 8.000 Schüler auf Wartelisten. Durch die künftige Erhöhung der Lehrerentgelte bei gleichbleibendem Förderbudget müssen jedoch weitere Unterrichtskapazitäten abgebaut werden. Das gilt es zu vermeiden, indem die Förderung insgesamt erhöht wird – da die Fördermittel pro Unterrichtsstunde in Berlin derzeit etwa 60% unter dem bundesweiten Durchschnitt in Großstädten liegt, dürfte dies auch finanziell verschmerzbar sein.

4. Hochschulen

Berlin als Wissenschaftsstandort erfüllt im Kulturbereich eine zentrale Aufgabe. Sowohl staatliche als auch insbesondere private Hochschulen dienen als Bildungs-, Diskurs- und Entwicklungsstätten für die Berliner Kulturszene. Die Jungen Liberalen setzen sich daher für den Erhalt und Ausbau der kreativen Hochschulen ein. Dafür müssen vor allem die Diskriminierungen der privaten Hochschulen im Berliner Hochschulgesetz abgeschafft werden. Zudem sollen Konflikte um staatliche Hochschulen wie bei der Ernst-Busch-Hochschule für Schauspielkunst künftig vermieden werden und der kreativen Bildung ebenso wie der technischen Bildung Priorität eingeräumt werden.

III. Kreativwirtschaft

Untrennbar mit dem Bereich Kunst und Kultur ist auch die sog. Kreativwirtschaft verbunden. Sie stellt einen der wenigen Wachstumsmärkte Berlins dar. Ob Architektur, Design, Werbung und Marketing, Medien, Film und Musik oder bildende und darstellende Kunst – in diesen Bereichen wird neben ideellen Werten auch erhebliches wirtschaftliches Potential geschaffen (allein 2008 wurde von der sog. Kreativwirtschaft deutschlandweit eine Wertschöpfung von 63 Milliarden € erzielt). Berlin ist bislang attraktiv für die Kreativwirtschaft und muss es auch in Zukunft bleiben. So unterstützen wir die Forderungen nach einer Straffung der Förderprogramme und einer engen Verknüpfung der Wirtschafts- und Ansiedlungsförderung mit dem Marketing des Landes Berlin und dem Liegenschaftsfonds. Ebenso halten wir die Schaffung eines sogenannten Gründerhauses als Anlaufstelle für Existenzgründer zur Erleichterung der Netzwerkbildung und Vermittlung von Kapitalgebern für sinnvoll. Zudem sollen Ausnahmeregelungen vom Lärmschutzgesetz dem Clubsterben in bestimmten Szenebezirken (wie dem „SO36“ in Kreuzberg) entgegenwirken. Auch die Einführung eines interdisziplinären, praxisorientierten Studienganges Kreativwirtschaft an mindestens einer der Berliner Hochschulen erscheint uns sinnvoll.

Gerade für in diesem Bereich Tätige ist auch der Schutz geistigen Eigentums von erheblicher Bedeutung, ebenso aber auch ein umfassender Zugang zu Informationen. Wir Jungen Liberalen Berlin bekennen uns ausdrücklich zum Schutz geistigen Eigentums, stehen jedoch für eine moderne und gleichermaßen transparente und praktikable Umsetzung und fordern daher die Einführung einer Fair-Use-Klausel für die private Nutzung von Werken Dritter. Das in der Diskussion befindliche zusätzliche Leistungsschutzrecht für Presseverleger lehnen wir dagegen ab. Ebenso ist eine leistungsfähige und transparente öffentliche Verwaltung für die dauerhafte Attraktivität in diesem Wirtschaftsbereich von entscheidender Bedeutung. Die Zwangsabgabe in die Künstlersozialkasse auch für Nichtmitglieder wollen wir daher abschaffen.