Europapolitische Grundsätze der Jungen Liberalen Berlin

Angesichts der derzeitigen Euro-Krise, die vielfach auch als eine Krise der Europäischen Union wahrgenommen wird, halten es die Jungen Liberalen Berlin – gerade auch angesichts mancher in der FDP geführten Debatten – für notwendig, ihre europapolitischen Grundsätze wie folgt festzuhalten:

 

1. Bekenntnis zum europäischen Bundesstaat

Die Jungen Liberalen Berlin bekennen sich unmissverständlich zum europäischen Einigungsprozess und zur langfristigen Vision eines europäischen Bundesstaates. Nur ein geeintes Europa gewährleistet Frieden, Freiheit und Wohlstand für möglichst alle Europäer. Wir lehnen daher Bestrebungen ab, die Europäische Union nur als Freihandelsverband anzusehen und den einzelnen Nationalstaaten verschiedenste Opt-out-Möglichkeiten aus gemeinsamen europäischen Verträgen einzuräumen. Insbesondere betonen die JuLis Berlin in diesem Zusammenhang auch, dass bereits die Vergangenheit gezeigt hat, dass vielfache Liberalisierungen althergebrachter deutscher Regelungen, so z.B. zur Post, zur Staatsbahn und –Fluglinie oder auch zum Meisterzwang, nicht etwa aufgrund des Veränderungswillens des deutschen Gesetzgebers, sondern vielmehr aufgrund von EU-Vorgaben zur Gewährleistung marktwirtschaftlicher Bedingungen und Einräumung eines Marktzugangs für Anbieter aus anderen EU-Staaten, durchgesetzt werden konnten. Die EU ist ein Liberalisierungsmotor für die europäischen Staaten. Gleichwohl werden mitunter zu viele Bereiche auf EU-Ebene geregelt, die dagegen besser auf nationaler oder auch kommunaler Ebene bestimmt werden könnten. Die JuLis Berlin bekennen sich insoweit auch innereuropäisch klar zu dem Grundsatz der Subsidiarität, was bedeutet, dass nur diejenigen Politikfelder von der EU-Ebene geregelt werden sollen, die für die gesamteuropäische Freizügigkeit, gleiche Wettbewerbsbedingungen, die Währungsstabilität und/oder die außen- und sicherheitspolitischen Interessen der EU erforderlich sind.

2. Demokratie auf EU-Ebene

Die Jungen Liberalen Berlin bedauern, dass die europäischen Strukturen nach wie vor nur über eine unzureichende demokratische Legitimation verfügen und daher bei vielen Bürgern die EU-Institutionen auch als bürokratisches Monster wahrgenommen werden. Wir fordern in diesem Rahmen eine Stärkung des europäischen Parlaments, das gleichberechtigt mit dem Rat der Europäischen Union ein Initiativrecht für die Gesetzgebung erhalten soll. Um das derart gestärkte Europäische Parlament überdies besser demokratisch zu legitimieren, ist auch auf europäischer Ebene der Grundsatz der aktiven Wahlgleichheit verstärkt zu beachten. Die Sitzverteilung im Parlament sollte daher langfristig vom derzeitig degressiv proportionalen Schlüssel abweichen und die Bevölkerungsverteilung innerhalb der EU exakter wiederspiegeln. Der Rat der Europäischen Union wiederum soll langfristig durch einen Europäischen Senat, in dem jeder Mitgliedsstaat zwei direkt gewählte Repräsentanten stellt, abgelöst werden.

Der Präsident der EU-Kommission, die zukünftig die Aufgaben einer echten EU-Regierung wahrnehmen soll, soll dann vom Parlament gewählt und auch per konstruktiven Misstrauensvotum abgewählt werden können. Die Handlungsfähigkeit eines EU-Bundesstaates macht so dann auch eine eigene europäische Steuererhebungskompetenz erforderlich.

Insbesondere begrüßen die Jungen Liberalen die neue Möglichkeit der Europäischen Bürgerinitiative, mit der breite transnationale Beteiligung und eine stärkere Öffentlichkeitswirksamkeit der EU hergestellt werden kann. Die Institutionen der Europäischen Union und der Mitgliedsstaaten müssen durch die Schaffung einer entsprechenden Infrastruktur für Partizipation dafür sorgen, dass dieses Instrument zu einem Erfolg werden kann. Zudem setzen sich die Jungen Liberalen Berlin für eine gemeinsame, europäische Öffentlichkeit ein, die mehr ist als die Summe ihrer Teile. Im liberalen Europa soll miteinander nicht übereinander diskutiert werden. Dem politischen Europa muss auch ein mediales Europa entgegen gestellt werden, damit demokratische Kontrollrechte, Transparenz und gegenseitige Verständigung hergestellt werden kann.

3. Zukunft des Euros

Die Jungen Liberalen Berlin stellen fest, dass der Euro – trotz der derzeitigen, durch eine massive Verschuldung einzelner Mitgliedsstaaten verursachte, Krise – ein Gewinn für die beteiligten Länder und deren Volkswirtschaften war und ist. Die letzten 10 Jahre haben die geringsten Inflationsraten in der neueren deutschen Geschichte aufgewiesen und zudem erheblich zur Preisstabilität und –Transparenz in der Euro-Zone beigetragen. Die JuLis Berlin sind von dem fortgesetzten Erfolg des Euros überzeugt und gehen davon aus, dass dieser langfristig EU-weites einheitliches Zahlungsmittel sein wird. Hierfür ist jedoch eine Abkehr der bisherigen, vor allem symbolischen, Stabilitätspolitik erforderlich. Im Rahmen der aktuellen Bedingungen zum Erhalt von Hilfsmitteln aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ist zu gewährleisten, dass in allen Nationalstaaten Schuldenbremsen in der Verfassung verankert und die Verletzung der Stabilitätskriterien automatische Sanktionen durch die EU-Kommission nach sich zieht. Weiterhin muss die Wirtschafts- und Währungsunion endlich ihrem Anspruch gerecht werden und auch eine gemeinsame wettbewerbsorientierte Wirtschaftspolitik durchsetzen, damit die Eurozone als gemeinsamer Währungsraum gestärkt aus der Krise herauskommt.

4. Erweiterung der EU

Grundidee der europäischen Einigung war immer, dass der Einigungsprozess allen europäischen Staaten offen steht und offen stehen soll. Dazu gehört nach Auffassung der Jungen Liberalen Berlin auch die Türkei, auch wenn ein tatsächlicher Beitritt der Türkei erst mittel- bis langfristig, wenn die Türkei tatsächlich alle Kopenhagener Beitrittskriterien erfüllen wird, erfolgen können wird. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass die EU und ihre Institutionen mit den erheblichen Erweiterungen der letzten Jahre auf nunmehr 27 Mitgliedsstaaten ihre Leistungsgrenzen zunächst erreicht haben, so dass zwangsläufig eine Konsolidierung der Verhältnisse, gerade auch in Bezug auf deutlich ärmere Mitgliedsstaaten erforderlich ist. Nach dem unmittelbar anstehenden Beitritt Kroatiens sind die weiteren Erweiterungsbemühungen daher verhaltener und im Gleichklang mit einer zunehmenden Angleichung der Leistungsfähigkeit der bisherigen Mitgliedsstaaten vorzunehmen. Um die Arbeitsfähigkeit der Kommission zu gewährleisten, ist – wie auch im Lissabon-Vertrag vorgesehen – vom Prinzip „ein Land, ein Kommissar“ abzuweichen.

5. Verlagerung von Souveränität auf EU-Ebene

Die Verlagerung von weiterer nationaler Souveränität auf die EU-Ebene ist nach Auffassung der JuLis Berlin unverzichtbar. So ist insbesondere erforderlich, dass die EU mittel- bis langfristig außenpolitisch mit einer Sprache spricht und daher das Amt eines europäischen Außenministers schafft, dem die Außenpolitik der Nationalstaaten nicht mehr aus kurzfristigem politischem oder wirtschaftlichem Kalkül in den Rücken fallen darf. Auch zeigt die aktuelle Vertrauenskrise des Euro, dass zukünftig wirtschafts- und haushaltspolitische Grundsätze nicht nur auf EU-Ebene getroffen, sondern auch deren Einhaltung durch diese gewährleistet werden müssen. Wie in einem föderalen Bundesstaat üblich, sind daher die Außen- und Sicherheitspolitik sowie elementare innerstaatliche Grundsätze durch die Bundesebene durchzusetzen, dagegen andere Regelungsbereiche vollständig den unteren Ebenen, sei es den Nationalstaaten oder den Regionen/Kommunen zu überlassen.

Die JuLis Berlin halten daher ebenso an ihrem Ziel fest, dass mittel- bis langfristig eine gemeinsame EU-Verfassung, in der auch ähnlich zum deutschen Grundgesetz die Grundrechte aller EU-Bürger in allen EU-Staaten gewährleistet werden, den verfassungsmäßigen Rahmen für diesen Bundesstaat darstellen soll. Die JuLis Berlin befürworten ausdrücklich eine europaweite Volksabstimmung zur Annahme eines solchen Verfassungsentwurfs, da nur ein Mehrheitsvotum der gesamten EU-Bevölkerung auch die notwendige Akzeptanz der Bürger gewährleisten kann.

6. Austritt einzelner Mitgliedsstaaten aus der EU

Die Jungen Liberalen Berlin nehmen zur Kenntnis, dass es in einzelnen Mitgliedsstaaten jedoch auch massive Vorbehalte gegen die Aufgabe nationaler Souveränität auf die EU-Ebene gibt. Die JuLis Berlin würden es explizit bedauern, wenn deshalb einzelne Mitgliedsstaaten, ggf. nach einer Volksabstimmung, ihren Austritt aus der EU erklären sollten. Wir sind jedoch auch der Auffassung, dass die bisherige Praxis der unterschiedlichen Geschwindigkeiten und der weitreichenden Einräumung von Ausnahmeregelungen für einzelne Mitgliedsstaaten den europäischen Einigungsprozess lähmt und insofern für das langfristige Ziel eines gemeinsamen Bundesstaates kontraproduktiv ist. Daher ist zukünftig auf eine Implementierung aller EU-Verträge, insbesondere auch der Regelungen zum Schengener-Abkommen sowie der Akzeptanz des Euros, darauf zu achten, dass alle Mitgliedsstaaten den Weg der europäischen Einigung gemeinsam fortschreiten. Eine faktische EU-Mitgliederschaft „2. Klasse“ durch Nichtimplementierung einzelner Regelungsbestandteile soll daher zukünftig so weit wie möglich verhindert werden und lediglich dann als letzte Option angewandt werden, wenn die betreffenden Nationalstaaten andernfalls der Austritt aus der EU wählen würden.