Eine moderne Verfassung für ein modernes Deutschland

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland feiert in diesem Jahr seinen 55. Geburtstag. Das ursprünglich nur als Provisorium gedachte und deshalb nicht Verfassung genannte Grundgesetz hat sich mittlerweile als maßgeblicher Faktor zur Herbeiführung und Bewahrung stabiler politischer Verhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland bewährt. Nicht ohne Grund sind die Staatsrechtler Deutschlands gefragte Experten, wenn andere Staaten, die einen demokratischen Wandel vollziehen, sich eine neue Verfassung geben möchten. Nichtsdestotrotz hat das Grundgesetz auch negative Folgen für die Entwicklung der politischen Verhältnisse. Dies liegt einerseits in den so bis dato nicht bekannten Strukturen der Gesetzgebungsorgane, die ihre Grundlage vor allem in den 1949 noch frischen Erfahrungen mit den Schwächen der Weimarer Reichsverfassung hatten, als auch in den vielen Änderungen die das Grundgesetz bis heute erfahren hat, und die Veränderung zum Nachteil der demokratischen Entscheidungsstrukturen zur Folge hatten. Hierbei seien insbesondere genannt:

1. eine massive Schwächung der Position der Länder durch Heranziehung nahezu jeglicher, ursprünglich den Ländern zustehenden, Gesetzgebungskompetenzen der sogenannten konkurrierenden Gesetzgebung.

2. Verinstitutionalisierung der Parteien, durch mangelnde Einflussmöglichkeit der Bürger auf die innerparteiliche Listenaufstellung bei gleichzeitigem Bestehen der 5%-Hürde.

3. eine 2. Kammer als Gesetzgebungsorgan, die sich nur mittelbar (nämlich über die in den gewählten Länderparlamenten gewählten Landesregierungen) demokratisch zusammensetzt.

4. ein kompliziertes System der Mischfinanzierung, das insbesondere Ländern und Kommunen die Verantwortlichkeit für ihre Haushaltspolitik entzieht und darüber hinaus als Folge den Landesregierungen im Bundesrat ein übermäßiges Vetorecht gegenüber Beschlüssen des Bundestages zuspricht.

5. mangelnde Instrumente der direkten demokratischen Beteiligung der Bürger, was aufgrund der Erfahrungen mit der Weimarer Republik 1949 noch verständlich, aufgrund des gewachsenen demokratischen Verständnisses der Bürger im Jahr 2004 nicht mehr zeitgemäß ist und massiv zur Abwendung der Bürger von der Politik beiträgt. Zur Bewältigung dieser Defizite schlagen die Jungen Liberalen Berlin eine Reform des Grundgesetzes wie folgt vor:

Zuständigkeiten trennen – Föderalismus stärken

Problem

Das Grundgesetz von 1949 gliedert Deutschland in Bundesländer. Durch die sogenannte Ewigkeitsklausel des Art. 79 Absatz 3 Grundgesetz wird eine Aufgabe der Gliederung des Bundes in Länder zumindest im Rahmen dieses Grundgesetzes ausgeschlossen. Auch die historische Entwicklung Deutschlands, das gerade auch im europäischen Vergleich eine sehr dezentrale Verteilung des kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens aufweist und somit nicht nur über ein starkes Zentrum verfügt, gebietet eine föderale Struktur mit starken Regionen.

Ein erfolgreicher Föderalismus zeichnet sich gerade dadurch aus, dass die einzelnen Verwaltungseinheiten eine größtmögliche Eigenständigkeit bewahren und auf diese Art und Weise ihre regionalen Probleme wirksamer und unter stärkerer Bürgerbeteiligung lösen als es einer Zentralregierung möglich wäre. Über 50 Jahre Verfassungswirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland haben diese Prinzipien jedoch de facto aufgegeben. Zum einen wurden nahezu alle Gesetzgebungskompetenzen der sogenannten konkurrierenden Gesetzgebung vom Bund an sich gezogen, zum anderen haben sich die Länder in Staatsverträgen und Ministerkonferenzen selbst ihrer Befugnisse beraubt.

Die Jungen Liberalen Berlin sind jedoch der Meinung, dass die Länder nicht nur teure Verwaltungseinheiten darstellen, sondern vielmehr ihre individuelle Stärke aus eigenen Kompetenzen ziehen und sich miteinander in den föderalen Wettbewerb um die besten Problemlösungen begeben sollen.

Lösungsvorschläge

Daher fordern die Jungen Liberalen Berlin:

1. eine klare Trennung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern

2. die Aufgabe der sogenannten konkurrierenden Gesetzgebung; sollte eine Kompetenzübertragung als notwendig erachtet werden, soll dies nur mit der zur Änderung des Grundgesetzes erforderlichen 2/3-Mehrheit möglich sein

3. die Aufgabe der sogenannten Rahmengesetzgebung. Bund und Länder haben in ihren Bereichen eine Allzuständigkeit

Grundgesetzänderungen

Das Grundgesetz ist daher wie folgt zu ändern:

1. Artikel 70 Absatz 2 GG wird gestrichen.

2. Artikel 72 GG (Konkurrierende Gesetzgebung) wird gestrichen.

3. Artikel 73 GG (ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes) wird um folgende Punkte ergänzt:

a) das bürgerliche Recht, das Strafrecht, die Gerichtsverfassung und das gerichtliche Verfahren.

b) das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer

c) die Angelegenheiten der Flüchtlinge und Vertriebenen

d) die Kriegsschäden und die Wiedergutmachung

e) die Versorgung der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen und die Fürsorge für die ehemaligen Kriegsgefangenen

f) die Kriegsgräber und Gräber für anderer Opfer des Krieges und Opfer von Gewaltherrschaft

g) das Recht der Wirtschaft (Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Handel, Bank- und Börsenwesen, privatrechtliches Versicherungswesen)

h) das Recht der Enteignung, soweit sie auf den Sachgebieten des Artikel 73 in Betracht kommen.

i) die Erzeugung und Nutzung der Kernenergie zu friedlichen Zwecken, die Errichtung und den Betrieb von Anlagen, die diesen Zwecken dienen, den Schutz gegen Gefahren, die bei Freiwerden von Kernenergie oder durch ionisierenden Strahlen entstehen, und die Beseitigung radioaktiver Stoffe

j) die Verhütung des Missbrauchs wirtschaftlicher Machtstellung

k) die Förderung der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung, die Sicherung der Ernährung, die Ein- und Ausfuhr land- und forstwirtschaftlicher Erzeugnisse, die Hochsee- und Küstenfischerei und den Küstenschutz

l) die Maßnahmen gegen gemeingefährliche und übertragbare Krankheiten bei Menschen und Tieren und die Zulassung zu ärztlichen und anderen Heilberufen und zum Heilgewerbe

m) den Schutz beim Verkehr mit Lebens- und Genussmitteln, Bedarfsgegenständen, Futtermitteln und land- und forstwirtschaftlichem Saat- und Pflanzgut, den Schutz der Pflanzen gegen Krankheiten und Schädlinge sowie den Tierschutz

n) die Hochsee- und Küstenschifffahrt sowie die Seezeichen, die Binnenschifffahrt, den Wetterdienst, die Seewasserstraßen und die dem allgemeinen Verkehr dienenden Binnenwasserstraßen

o) den Straßenverkehr, das Kraftfahrtwesen, den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen für den Fernverkehr sowie die Erhebung und Verteilung von Gebühren für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen

p) die Staatshaftung des Bundes

q) die künstliche Befruchtung beim Menschen, die Untersuchung und die künstliche Veränderung von Erbinformationen sowie Regelungen zur Transplantation von Organen und Geweben

r) das Jagdwesen, den Naturschutz und die Landschaftspflege

s) das Melde- und Ausweiswesen

4. Artikel 74 GG (Gegenstände konkurrierender Gesetzgebung) wird gestrichen.

5. Artikel 74a GG (Konkurrierende Gesetzgebung für Besoldung und Versorgung im Öffentlichen Dienst) wird gestrichen.

6. Artikel 75 GG (Rahmengesetzgebung) wird gestrichen.

Bundestag und Bundesrat reformieren – Entscheidungen ermöglichen

Problem

Der deutsche Gesetzgeber hat es schwer. Nicht nur muss er im Bundestag die Stimmen der Regierungsmehrheit zusammenhalten, auch der Bundesrat will überzeugt werden, da er bei nahezu allen gesetzgeberischen Entscheidungen mittlerweile zustimmungspflichtig ist. Zwar sieht das Grundgesetz aus guten Gründen eine Beteiligung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes vor; jedoch sind mittlerweile nahezu alle kostenwirksamen Entscheidungen zustimmungspflichtig, da sie auch Auswirkungen auf die Haushalte von Ländern und Gemeinden haben. Die Beteiligung der Länder über die Landesregierungen hat jedoch, wie sich immer stärker gezeigt hat, nicht wirklich zu einer Beteiligung der Länderinteressen geführt, sondern vielmehr eine Art „Revanchekammer“ für die jeweilige Bundestagsopposition etabliert. Da das Wählerverhalten meist antizyklisch verläuft – d.h. die jeweilige Regierungsmehrheit auf Bundesebene unterliegt meist bei den nächsten Landtagswahlen – stellt zumeist die Bundestagsopposition die Mehrheit der Landesregierungen. Deren Verhalten im Bundesrat richtet sich jedoch meist vielmehr nach dem politischen Interesse der Parteiführung als nach den spezifischen Interessen ihrer jeweiligen Länder.

Darüber hinaus findet mittlerweile nahezu alle 6 Monate eine Landtagswahl statt, die – gerade auch aufgrund der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat – viel Beachtung auf Bundesebene findet. Regierung und Opposition befinden sich somit in einer Art Dauerwahlkampf, die sich ebenfalls negativ auf die Entscheidungsfreude des deutschen Gesetzgebers auswirkt. Gerade auch aus diesen Gründen hat sich in der Bundesrepublik Deutschland ein Reformstau und eine Entscheidungsunlust etabliert. Sofern überhaupt Entscheidungen getroffen werden, handelt es sich meist nur um Minireförmchen, die den kleinsten gemeinsamen Nenner eines monatelangen Ringens von Regierung und Opposition darstellen.

Lösungsvorschläge

Daher fordern die Jungen Liberalen Berlin eine Reform der Gesetzgebungsorgane wie folgt:

1. Vereinheitlichung der Wahltermine

a) gemeinsame Landtagswahlen und Kommunalwahlen

Da in einem der 16 Bundesländer mittlerweile so gut wie alle 6 Monate eine Landtagswahl stattfindet, was auf Bundesebene aus wahltaktischen Gründen zu mangelnder Entscheidungsfreudigkeit führt, ist dringend eine Vereinheitlichung der Wahltermine erforderlich. Landtagswahlen sollen für alle Bundesländer gemeinsam an einem Termin stattfinden. Im Falle des Scheiterns von (Koalitions-)Regierungen findet eine Nachwahl nur für den Rest der Legislaturperiode statt, sofern diese noch länger als 12 Monate andauert. Dasselbe gilt für die Kommunalwahlen, die bundeseinheitlich in allen Kommunen stattfinden sollen.

b) Dauer der Legislaturperioden

Eine Verlängerung der Legislaturperioden mag aus Effektivitätsgründen sinnvoll erscheinen, jedoch bedarf eine lebendige Demokratie auch der regelmäßigen Legitimation durch die Bürger, so dass die Legislaturperiode des Deutschen Bundestages und die sämtlicher Landtage auf maximal 4 Jahre festgeschrieben werden soll. Eine Effektivitätssteigerung sollte vielmehr durch die Koordinierung der verschiedenen Wahltermine selbst erreicht werden.

c) Aufteilung von Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen

Im Rahmen der Vereinheitlichung von Wahlterminen soll gewährleistet werden, dass die Wahlen zu den Landtagen der Länder genau zur Hälfte der Legislaturperiode des Deutschen Bundestages stattfindet, so dass letztendlich – und in aller Regel – nur alle 2 Jahre, dann aber auch alle Bürger des Landes, zu Wahlen aufgerufen wird.

Die Kommunalwahlen wiederum sollen zeitgleich mit der Bundestagwahl stattfinden, so dass auf Länder- und Kommunalebene letztlich alle 2 Jahre Wahlen stattfinden.

2. Reform des Bundestages

a) Abschaffung von Erst- und Zweitstimme

Auch 55 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland versteht etwa die Hälfte der Bevölkerung das Wahlsystem aus Erst- und Zweitstimme nicht. Daher ist dieses System zu ändern. Dem Persönlichkeitselement im deutschen Wahlsystem soll durch eine neue Zusammensetzung des Bundesrates Rechnung getragen werden. Der Bundestag dagegen soll sich rein nach dem Verhältnisprinzip zusammensetzen. Um den Bürgern jedoch die Möglichkeit zur Einflussnahme auf die zu wählenden Abgeordneten und damit gleichzeitig den Einfluss von Interessens- und Machtgruppen innerhalb der Parteien zu beschränken, ist eine personalisierte Verhältniswahl einzuführen; d.h. die Wähler entscheiden mit ihrer Stimme nicht nur über die zu wählende Partei sondern gleichzeitig auch über einen bestimmten Kandidaten. Auch soll die Kandidatur von Einzelpersonen möglich sein. Diese kandidieren in einem Bundesland und benötigen zu ihrer Wahl so viele Stimmen, das auf sie mindestens ein Sitz entfällt. Erhalten sie mehrere Sitze, so bleiben diese vakant. Aus Praktikabilitätsgründen ist daher gegebenenfalls die Einführung eines sogenannten „Wahlbuches“ erforderlich, in dem die Wähler die zur Wahl stehenden Listen samt sämtlicher Kandidaten nicht auf einem Zettel, sondern in einem Pamphlet vorfinden. Eine Stimme ist sodann auf einen bestimmten Kandidaten der bevorzugten Liste zu vergeben. Zur Vereinfachung des Auszählvorgangs wäre zum Beispiel denkbar, die Seiten des sogenannten Wahlbuches zu Perforieren, so dass nur die tatsächlich benutzte Seite in die Urne geworfen wird und somit in die Auszählung gelangt.

b) 5%-Hürde

Die sogenannte 5%-Hürde hat sich, zur Vermeidung einer Splittergruppenbildung im Parlament, bewährt. Jedoch soll auch weiterhin die regionale Verwurzelung einzelner Parteien, die bislang über die Direktmandatsklausel ihre Berücksichtigung findet, Einfluss auf die Zusammensetzung des Bundestages nehmen. Daher soll die 5%-Hürde auf die Landesliste in der Form beschränkt werden, als dass zur Erreichung des Fraktionsstatus weiterhin bundesweit die Erreichung von 5% der abgegeben Stimmen erforderlich ist, aber ein Wahlvorschlag auch dann durch den rechnerisch auf sie entfallenden Anteil im Bundestag repräsentiert wird, wenn nur in einem Bundesland 5% der abgegebenen Stimmen erreicht werden. Dieser Wahlvorschlag entsendet dann die der Landesliste zahlenmäßig zustehenden Abgeordneten.

3. Reform des Bundesrates

a) Zusammensetzung

Gemäß Artikel 79 Absatz 3 Grundgesetz ist eine Grundgesetzänderung, die eine Abschaffung der Beteiligung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes vorsieht, zumindest im Rahmen dieses Grundgesetzes unzulässig. Darüber hinaus ist aber auch aus Gründen des Bundesstaatlichkeit weiterhin eine Beteiligung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes geboten. Das bisherige Prinzip der Beteiligung der Landesregierungen hat sich jedoch nicht bewährt. Anstatt die spezifischen Interessen ihrer jeweiligen Länder zu vertreten, vertreten die Landesregierungen oftmals nur die jeweilige Couleur ihrer parteipolitischen Zusammensetzung und blockieren die Gesetzgebung des Bundestages. Daher ist die Zusammensetzung des Bundesrates in ein sogenanntes „föderales Senatsmodell“ abzuändern. Dies bedeutet, dass in jedem Bundesland sogenannte „Senatoren“ von den Bürgern des jeweiligen Bundeslandes in einer reinen Persönlichkeitswahl gewählt werden. Diese vertreten dann im Bundesrat die Interessen der Bürger ihres Landes. Hierbei erhält jedes Bundesland die gleiche Anzahl von 3 Senatoren, da die unterschiedliche Bevölkerungsgröße der jeweiligen Bundesländer bereits bei der Zusammensetzung des Bundestages über die sogenannten Landeslisten berücksichtigt wird, und somit gewährleistet werden soll, dass auch kleinere Bundesländer bei der politischen Entscheidungsfindung beteiligt werden. Bei 16 Bundesländern besteht der Bundesrat dann zukünftig aus 48 Senatoren.

b) Legislaturperiode

Jeder Senator wird in seinem Bundesland für die Dauer von 6 Jahren gewählt. Im Falle seines Rücktrittes oder Todes wird ein Nachfolger nur für den Rest seiner Amtszeit nachgewählt, sofern diese noch mehr als 12 Monate beträgt. Im Rahmen der Vereinheitlichung der Wahltermine soll gewährleistet sein, dass in jedem Land alle 2 Jahre nur ein Senator, also sukzessiv, gewählt wird. Somit fällt die Senatorenwahl immer mit den Landtags- oder der Bundestagswahl zusammen.

c)Entscheidungskompetenz

Das bisherige Prinzip von Einspruchs- und Zustimmungsgesetzen wird beibehalten. In den Fällen, in denen das Grundgesetz entweder aus Gründen der Bedeutung der Entscheidungserheblichkeit oder aufgrund der Betroffenheit der Länder, die Zustimmung des Bundesrates voraussetzt, sollte auch weiterhin die Zustimmung der 2. Kammer erforderlich sein. Vielmehr findet eine Reduzierung der Zustimmungsgesetze dadurch statt, dass eine strenge Trennung der Finanzierung von Bund und Ländern erfolgt, so dass der Großteil der Bundesgesetze eben keinen Einfluss auf die Länderverwaltungen und/oder -Finanzen mehr hat.

Mischfinanzierung beenden – Verantwortungsprinzip einführen

Problem

Grundlegende Voraussetzung für ein Funktionieren einer klaren föderalen Aufgabenverteilung ist weiterhin auch die unabhängige, bedarfsorientierte Finanzierung der jeweiligen Gebietskörperschaften. Spätestens seit den Reformgesetzen der Großen Koalition von 1966-1969 wurde in der Bundesrepublik Deutschland jedoch ein hoch kompliziertes System der Mischfinanzierung eingeführt. Die aufkommensstärksten Steuerarten (Lohn-/Einkommenssteuer und Umsatzsteuer) fließen zum Teil dem Bund, zum Teil den Ländern und auch den Gemeinden zu. Der jeweilige Anteil richtet sich nach einem komplizierten Verteilungsschlüssel, der für die Bürger in der Regel nicht mehr nachvollziehbar ist. Als Folge hiervon können sich die Landesregierungen darüber hinaus im Bundesrat als Blockierer im Sinne ihrer jeweiligen parteipolitischen Interessen gerieren, da jegliche Änderung der Steuergesetzgebung durch den Bund auch Auswirkungen auf die Länder- und ggf. die Gemeindefinanzen hat. Gleichwohl ist auf Länder-, und noch verstärkt auf kommunaler Ebene, eine verantwortungsvolle Haushaltspolitik unmöglich, da auf Bundesebene veränderte Rahmenbedingungen auch der sparsamsten und innovativsten Kommune die Finanzgrundlage entziehen.

Lösungsvorschläge

Daher fordern die Jungen Liberalen Berlin zur Stärkung des bundesdeutschen Föderalismus eine gänzliche Neufassung der Finanzverfassung unter Beachtung folgender Gesichtspunkte:

1. klares Trennungsprinzip; jede Gebietskörperschaft finanziert ihre eigenen Ausgaben

2. finanzpolitische Unabhängigkeit; nicht der Bundesgesetzgeber entscheidet über die Höhe von Steuern, die Ländern und Gemeinden zufließt, sondern die Länder und Gemeinden erheben ihre eigenen Steuern und legen die jeweiligen Steuertatbestände fest. Die Länder und Gemeinden treten dadurch auch untereinander in einen Wettbewerb.

3. Die Verteilung der Gesetzgebungs- und Ertragshoheit soll wie folgt aussehen:

a) Die Erhebung und das Aufkommen folgender Steuerarten steht zukünftig ausschließlich dem Bund zu (die Zahl in Klammern entspricht dem jeweiligen Ertrag dieser Steuer im Jahr 2002; Quelle: statistisches Bundesamt):

aa) die Lohn- und Einkommenssteuer (€ 191 Milliarden)

bb) die Zölle (€ 3 Milliarden)

cc) die Körperschaftssteuer (€ 3 Milliarden)

dd) sonstige Verbrauchssteuern (€ 20 Milliarden)

b) Die Erhebung und das Aufkommen folgender Steuerarten steht ausschließlich den Ländern zu:

aa) die Umsatzsteuer (€ 105 Milliarden)

bb) Einfuhrumsatzsteuer (€ 33 Milliarden)

cc) Mineralölsteuer (€ 42 Milliarden)

dd) KFZ-Steuer (€ 5 Milliarden); diese soll mit der Mineralölsteuer zusammengelegt werden

ee) Rennwett- und Lotteriesteuer (€ 1,8 Milliarden)

ff) Erbschafts- und Schenkungssteuer (€ 3 Milliarden)

c) Die Erhebung und das Aufkommen folgender Steuerarten steht ausschließlich den Gemeinden zu:

aa) Grundsteuer (€ 9 Milliarden)

bb) Grunderwerbssteuer (€ 5 Milliarden)

cc) Gewerbesteuer (€ 23,5 Milliarden)

dd) Die örtliche Verbrauchs- und Aufwandssteuern

d) Folgende Steuerarten fallen nach dem Willen der Jungen Liberalen Berlin ersatzlos weg, so dass eine Zuordnung unterbleibt:

aa) Vermögenssteuer (2002 noch € 0,239 Milliarden)

bb) Solidaritätszuschlag (€ 10,4 Milliarden)

cc) die Zinsabschlagssteuer (€ 8,5 Milliarden), da nach dem Willen der Jungen Liberalen Berlin Zinserträge den anderen Einkommensarten gleichgestellt und somit über die Lohn- und Einkommenssteuer besteuert werden soll.

e) Weiterhin ist die Tabaksteuer (€ 13,8 Milliarden) in eine Umlage zur Gesundheitsfinanzierung umzuwandeln, deren Ertrag zweckgebunden dem öffentlichen Gesundheitssystem zufließen soll.

4. Weiterhin fordern die Jungen Liberalen Berlin, im Sinne einer verlässlichen Politik für die Bürger und Unternehmen, die Erhebung von weiteren, im Grundgesetz nicht ausdrücklich genannten und zugeordneten, Steuerarten nur auf eine begrenzte Zeit von 7 Jahren zuzulassen. Danach bedarf es zur weiteren Erhebung dieser Steuern einer erneuten Bestätigung durch den jeweiligen Gesetzgeber.

5. Im Gegensatz zum jetzigen, dezentralen, System der Finanzverwaltung fordern die Jungen Liberalen Berlin jedoch eine einheitliche und zentrale Steuer- und Finanzverwaltung für das gesamte Bundesgebiet. Der Wettbewerb zwischen den Ländern und Gemeinden soll nicht durch unterschiedliche Bearbeitungspraxen und -zeiten der einzelnen Finanzverwaltungen, sondern über die Steuersätze selbst erfolgen. Die Schaffung einer einheitlichen Finanzverwaltung hat für den Bürger den Vorteil, dass von Flensburg bis Garmisch-Partenkirchen einheitliche Verfahrens- und Prüfungsstandards angelegt werden würden. Zum anderen entfällt die Abhängigkeit von einzelnen Finanzämtern, z.B. wenn ein Bürger auf die zeitnahe Erstellung eines Grundlagenbescheid von Finanzamt X zur Wahrung seiner Frist bei Finanzamt Y angewiesen ist. Vielmehr könnte eine zentrale Finanzverwaltung jegliche Steuerpflichtigkeit von Bürgern und Unternehmen aufgrund der von den einzelnen Gebietskörperschaften mitgeteilten Steuersätze einheitlich bearbeiten.

6. Darüber hinaus soll, im Zuge einer verantwortungsbewussten Haushalts- und Finanzpolitik, eine Steigerung der Nettoneuverschuldung um mehr als 10% im Verhältnis zum vorangegangenen Haushaltsplanes nur mit einer qualifizierten Mehrheit (2/3-Mehrheit) im Bundestag möglich sein.

Mehr (direkte) Demokratie wagen – Volksentscheide ermöglichen

Problem

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sieht so gut wie keine Elemente der direkten Demokratie vor. Selbst die Wahl des Staatsoberhauptes, der jedoch politisch kaum Einfluss nehmen kann, findet durch das besondere Konstrukt der Bundesversammlung statt. Im Ergebnis stellt die Wahl des Bundespräsidenten immer wieder ein Geschacher zwischen verschiedenen Parteien dar, um auf eine Mehrheit in eben jener Bundesversammlung zu kommen.

Weiterhin haben die Bürgerinnen und Bürger jedoch auch in anderen Fragen nicht die Möglichkeit, Entscheidungen der (Bundes)Politik zu bestätigen oder zu kippen oder gar Volksentscheide über bundespolitische Themen selbst herbeizuführen. So ist die Bundesrepublik Deutschland einiges der wenigen Länder in denen das Volk nicht über die Ratifizierung der Verträge von Maastricht oder Amsterdam oder gar die Einführung des Euro befragt wurde. Zwar bergen solche Abstimmungen auch das Risiko der Ablehnung wichtiger Entscheidungen; jedoch ist dies in Kauf zu nehmen, wenn das Volk tatsächlich als Souverän anerkannt werden soll. Vielmehr ist es Aufgabe der Politik massivst für solche Projekte zu werben und damit auch die Bereitschaft in der Bevölkerung zu steigern. Die Erfahrung in anderen Ländern der EU hat gezeigt, dass eine Mehrheit der Bürger durchaus überzeugt werden kann.

Lösungsvorschläge

Die Jungen Liberalen Berlin fordern daher eine Ergänzung des Grundgesetzes wie folgt:

1. Direktwahl des/der Bundespräsidenten

Die direkte Wahl des Bundespräsidenten alle 5 Jahre mit einer absoluten Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Erhält ein Kandidat/in im ersten Wahlgang nicht die absolute Mehrheit, so ist eine Stichwahl zwischen den zwei Bewerbern mit den meisten Stimmen 14 Tage später durchzuführen.

2. Volksinitiativen

Im Grundgesetz soll die Möglichkeit von Volksinitiativen (Ziel: Befassung des Bundestages mit einem Gesetzesentwurf oder einem Sachthema) verankert werden. Hierfür sollen innerhalb eines halben Jahres 0,5 Prozent aller Wahlberechtigten ihre Zustimmung schriftlich bekunden. Beim Stand des Jahres 2002 mit 61,4 Millionen Wahlberechtigten (Quelle: statistisches Bundesamt), bedeutet dies die Zustimmung von ca. 307.000 Wahlberechtigten.

3. Volksbegehren

Weiterhin soll im Grundgesetz die Möglichkeit von Volksbegehren (Ziel: Erlass, Änderung oder Aufhebung eines Gesetzes) verankert werden. Zur Zulässigkeit eines Volksbegehrens müssen innerhalb eines halben Jahres 3 Prozent aller Wahlberechtigten (also z.Zt. ca. 1,84 Millionen Wahlberechtigte) schriftlich ihre Zustimmung bekunden. Im Falle eines auf Änderung des Grundgesetzes gerichteten Gesetzes bedarf die Zustimmung 5 Prozent aller Wahlberechtigten (ca. 3,07 Millionen Wahlberechtigte). Steuergesetze sind von der Möglichkeit eines Volksbegehrens/Volksentscheides auszunehmen.

4. Volksentscheide

Ist ein Volksbegehren zulässig, so ist innerhalb von 6 Monaten ein Volksentscheid hierüber durchzuführen. Zur Gültigkeit des Volksentscheides bedarf es folgender Quoren:

a) einfache Gesetze

bei einfachen Gesetzen beträgt die erforderliche Zustimmung 50% plus eine Stimme aller Wählerinnen und Wähler, wobei insgesamt mindestens 25% aller Wahlberechtigten (ca. 15,35 Millionen) zugestimmt haben müssen. Dasselbe gilt für die Ratifizierung von EU-Verträgen.

b) Änderungen des Grundgesetzes

Änderungen des Grundgesetzes bedürfen der Zustimmung von mindestens 2/3 aller Wählerinnen und Wähler, wobei insgesamt eine absolute Mehrheit aller Wahlberechtigten (ca. 30,7 Millionen) zugestimmt haben müssen. Weiterhin gelten die Einschränkungen des Art. 79 Absatz 3 GG.

c) Rechtsfolge

Ein gültiger Volksentscheid ist Gesetzesbeschlüssen gem. Artikel 77 ff. GG gleichgestellt. Es bedarf keiner weiteren Zustimmung des Bundestages oder des Bundesrates. Die Verkündung und das Inkrafttreten erfolgt nach den Maßgaben des Artikel 82 GG. Darüber hinaus sind die Kosten zur Durchführung eines Volksbegehrens den Antragsstellern zurückzuerstatten.

5. Die JuLis Berlin fordern darüber hinaus eine Ratifizierung einer etwaigen EU-Verfassung durch die Wählerinnen und Wähler.

6. Volkentscheid aufgrund Beschluss des Bundestages oder des Bundesrates Darüber hinaus ist ein Volksentscheid durchzuführen, wenn eine absolute Mehrheit der Mitglieder des deutschen Bundestages dies beschließt; bei zustimmungspflichtigen Gesetzen kann auch eine absolute Mehrheit der Mitglieder des Bundesrates die Durchführung eines Volksentscheides beschließen.

7. Regelungen in den Ländern Diese grundgesetzlichen Regelungen betreffen nur die Gesetzgebung des Bundes. Das Grundgesetz soll darüber hinaus lediglich vorschreiben, dass es die Instrumente der Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide auch auf Länder- und Kommunalebene zu geben hat. Die tatsächliche Ausgestaltung bleibt jedoch den Ländern und Kommunen überlassen.

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