Bürgerbeteiligung – bedarfsorientiert, frühzeitig und projektbegleitend

Die Erfahrung mit der Verwirklichung infrastruktureller Großprojekte wie der Startbahn West in Frankfurt oder Stuttgart 21 hat uns gelehrt, welche enormen Kontroversen und Konfliktpotentiale deren Umsetzung hervorrufen kann. Aufgrund der zumeist erheblichen Konsequenzen, die Großprojekte sowohl auf der Kostenseite (ökonomische wie ökologische Einbußen für den Einzelnen) wie auf der Nutzenseite (Gewinn für die Allgemeinheit) hervorrufen, sind eine Vielzahl zumeist unübersehbarer Interessen berührt. Gerade deswegen ist es unabdingbar, ein Verfahren zu schaffen, das auch mittelbar Betroffene schon frühzeitig umfassend über die Planung und das Verfahren informiert und aktiv in die Gestaltung mit einbezieht. Das derzeitige Planfeststellungsverfahren gewährleistet dies nur unbefriedigend, indem es den Bürger in vielen Fällen uninformiert lässt und ihm praktisch keine nennenswerten Instrumente der Einflussnahme und Berücksichtigung seiner Interessen ermöglicht. Dies birgt die Gefahr, dass sich Betroffene übergangen fühlen und sich Konflikte erhärten. Informelle Beteiligungsverfahren wie die Schlichtung oder Mediation haben sich bewährt, Konflikte zu versachlichen, den Dialog selbst zwischen scheinbar verhärteten Fronten herzustellen und letztlich interessengerechte Kompromisse zu erarbeiten.

Es gilt daher, einen Weg zu finden, Beteiligungsverfahren in das Planfeststellungsverfahren flexibel zu integrieren und dem Bürger sein berechtigtes Interesse an Information und Mitbestimmung zu gewähren. Bürgerbeteiligung muss bei Bedarf bereits zum frühest möglichen Zeitpunkt projektbegleitend erfolgen, um effizient und effektiv zu funktionieren. Insbesondere darf der Bürger nicht vor ‚vollendete Tatsachen‘ gestellt werden, ohne eine nennenswerte Beteiligungsmöglichkeit erhalten zu haben. Die Gefahr, durch umfassende Verfahrensmöglichkeiten Planungsprozesse unnötig zu verlängern und deren Kosten in die Höhe zu treiben, sehen wir nicht: gerade der Dialog aller Parteien vereinfacht das konfliktlose und zügige Finden eines mehrheitsfähigen Entwurfs, der letztlich auch im Interesse des Vorhabenträgers eines Großprojekts liegt.

Konkret schlagen wir vor:

1. Um eine sachorientierte Diskussion in der Öffentlichkeit zum frühest möglichen Zeitpunkt zu sichern, reicht es nicht, auf das aktive Suchen des Bürgers nach Informationen zu vertrauen: diese sind, gerade in Frühphasen der Planung, häufig weder unkompliziert einsehbar noch im medialen Fokus. Wir sprechen uns daher für eine erweiterte Informationspflicht der Verwaltung im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens aus. Nach grundsätzlicher Planaufstellung durch den Vorhabenträger und der damit verbundenen Einreichung bei der Anhörungsbehörde müssen alle Einwohner im individuellen Wirkungskreis postalisch über das Projekt informiert werden. Inhalte dieser Information sollten die wesentlichen Eckdaten über Umfang und Ausmaß des Projektes sowie, soweit ersichtlich, eventuell entgegensteher Interessen sein. Die Verwaltung hat ferner eine Informationsveranstaltung durchzuführen, bei der detailliertere Informationen vermittelt werden und auf die das Informationsschreiben hinweist. Diese Informationsveranstaltungen sind öffentlich, auch nicht räumlich Betroffene sind dazu eingeladen. Um diesen Adressatenkreis effektiv erreichen zu können, soll die Verwaltung Info-Material und Einladung auch auf geeigneten Internetplattformen zur Verfügung stellen. Dadurch wird es auch Interessenverbänden ermöglicht, sich frühzeitig in die Diskussion einzuschalten.

2. Nach Abschluss dieser Informationsphase schließt sich eine Konsultationsphase an: Bürger haben das Recht, Anregungen oder Kritik zum Projekt zu äußern und schriftlich bei der Verwaltung einzureichen. Diese Eingaben sind durch die Verwaltung verpflichtend zu prüfen, zu berücksichtigen und begründet zu beantworten. Dadurch können bereits früh im Planungsprozess aufkommende Probleme und Unklarheiten beseitigt werden, die Interessen des Bürgers werden berücksichtigt und gewürdigt. Die Behörde erhält zudem durch derartige Eingaben womöglich entscheidende Hinweise oder Vorschläge, die anderenfalls nicht hätten berücksichtigt werden können. Dadurch kann eine erhebliche Verbesserung des Verfahrens wie des Ergebnisses erreicht werden. Bei Eingaben, die durch Qualität oder Häufigkeit der Einreichung eine gewisse Relevanzschwelle überschreiten, sollte die Einleitung eines Beteiligungsverfahrens geprüft werden.

Die Konsultationsphase darf nicht an mangelndem Personal scheitern. Für den Mehraufwand müssen Stellen geschaffen werden.

3. Sollten sich Konfliktpositionen nicht durch die bilaterale Auseinandersetzung in der Konsultationsphase aufgelöst haben, ist zur interessengerechten Entscheidungsfindung regelmäßig ein Vermittlungs- und Beteiligungsverfahren unabdingbar. Wir sprechen uns daher für einen Rechtsanspruch auf ein Beteiligungsverfahren aus, ohne dessen Formen in zu Enge grenzen zwängen zu wollen. Die individuellen Voraussetzungen eines jeden Konflikts gebieten es, Instrumente der Bürgerbeteiligung flexibel einsetzen zu können. Jedem Bürger, der in der Konsultationsphase eine Einwendung eingereicht hat, steht daher grundsätzlich der Anspruch zu, innerhalb einer Frist ein Beteiligungsinstrument nach einem von ihm vorgeschlagenen Verfahren zu beantragen. Die Behörden sind verpflichtet, Frist und mögliche Beteiligungsinstrumente dem Bürger mitzuteilen. Um Planungsprozesse nicht durch Einzelinteressen zum Erliegen zu bringen, ist zur Durchführung des Verfahrens ein bestimmtes Quorum an Unterstützerunterschriften erforderlich. Durch die Unterstützung zahlreicher weiterer Bürger wird verdeutlicht, dass der Konflikt eine ausreichende Relevanz hat und das vorgeschlagene Verfahren auf Akzeptanz stößt. Das Quorum ist dabei niedriger anzusetzen als bei den Instrumenten der gesetzgeberischen Bürgerbeteiligung (Volksbegehren, Volksinitiative, Volksentscheid), da die Rechtsfolge eines Beteiligungsverfahrens weniger verbindlich und daher ein milderer Einschnitt in die Entscheidungsbefugnis der staatlichen Gewalten darstellt. Ein progressiv anwachsendes Quorum mit Fortschreiten der Planung dürfte dem Interesse des Vorhabenträgers an Rechtssicherheit Rechnung tragen, da die Hürden für eine zwingende Bürgerpartizipation sukzessive ansteigen. Das Beteiligungsverfahren soll grundsätzlich offen verlaufen und allen relevanten Interessen Gehör verschaffen. Sollten durch wesentliche inhaltliche Planänderungen im Verlauf dieses Prozesses weitere Personen in den Einflussbereich einbezogen werden, sind auch diese unverzüglich umfassend zu informieren und in das Beteiligungsverfahren mit einzubeziehen. Das Ergebnis dieses Beteiligungsverfahrens entfaltet keine unmittelbare rechtliche Bindungswirkung, verbleibt aber als konsensfähige Lösung und kann entsprechende Rechtswirkung entfalten. Die Möglichkeit, Beteiligungsverfahren auf freiwilliger Basis durchzuführen, bleibt von dieser Regelung unberührt. Die Kosten des Verfahrens trägt der Fiskus unter Beteiligung des Bauträgers. Durch das Quorum wird gewährleistet, dass ein Verfahren den dafür nötigen Rückhalt in der Bevölkerung erfährt.

4. Aus rechtsstaatlichen Gründen ist außerdem an der bisherigen Auslege- und Widerspruchslösung weiterhin festzuhalten.